rein theoretisch ist alles gut

Stille Post für the barn

Gerade gibt es Aufregung im Oh-wie-schön-ist-Panama-Kiez: Eine Mutter wollte ihr Kind in einem Café stillen und wurde daran gehindert? Wie auch immer: Sie hat eine Online Petition gestartet und kämpft für ein neues Gesetz. Natürlich was sonst? Die Frau heißt Johanna! Liest man diese Meldung auf einer der gängigen “Shit-happens-everywhere-in-the-world-Seiten” ist man ja nicht weiter erstaunt. Aber in Berlin? In meinem Kiez? Ich meine wo sind wir denn?

Ich wohne in Prenzlauer Berg, wenn hier einer Mutter die Öffnung der Bluse verwehrt wird, kann man schon mal in Panik geraten. Während ich das schreibe, erinnere ich mich spontan an eine Situation in einem Café vor einigen Jahren.

Am Nachbartisch stillten lautstark und selbstverständlich drei Mütter ihre frisch geschlüpften Kinder. Eine von ihnen stand auf, um mich nach Zucker zu fragen. Leider hatte sie vergessen, ihre Bluse zu schliessen.

Ihre pralle Brust schwebte über meinem Teller, Muttermilch drohte auf meinen New York Cheese Cake zu tropfen. Ich sagte: “Sie haben da was”. Sie fasste sich betroffen an den Mund. Ich murmelte: “Nicht da, hier”, und klopfte mit dem Finger auf mein Dekolleté. Wir lachten beide hysterisch und sie knöpfte die Bluse zu. Kann ja mal passieren. Also: What the hell is going on: Steht die Islamisierung des Abendlandes bevor wie eine unsägliche Partei hofft? Oder wohnen hier wirklich nur noch totalitäre Spätzle-Schaber?

Als ehemals stillende Mutter war ich beim Lesen der Schlagzeile also entrüstet. Klar. Aber mir dröhnt beim Lesen solcher Schlagzeilen immer der FOCUS Slogan “Fakten, Fakten, Fakten” im Ohr.

Nach Auswertung meiner Recherchen gibt es keinen Grund zur Panik, zum Protest oder Umzug. Der jungen Mutter wurde nämlich nicht irgendwo das Stillen verwehrt. Nein. Sie wollte ihr hungriges Kind in der berühmt berüchtigten Kaffee-Scheune an die Brust hängen. Und dann noch nicht mal im dafür vorgesehenen Bereich, sondern mitten im “Schau”fenster. Das ist ungefähr so, als knöpft man sich im Petersdom vor der Pietà die Bluse auf, oder an der Klagemauer oder im Innenhof eines griechisch-orthodoxen Felsenklosters.

Die Kaffee-Scheune ist eine eingerichtete Schutzzone für Zivilisten (Hipster), die ungestört leben/Kaffee trinken wollen. Während in Syrien so etwas in 5 Jahren immer noch nicht funktioniert, ist man hier weiter. Man schützt seine Gäste, seine Lieferanten und sein Produkt. Zum Beispiel mit einen geschmackvollen Poller aus Beton in Bugaboo-Breite, der Müttern mit Kinderwagen den Zugang ins Café erschwert. Wer es trotzdem hinein geschafft hat, den erwartet großartiger Kaffee. Ich kann das beurteilen, denn ich war schon mal da. Ich hatte allerdings auch keine Probleme reinzukommen: Ich war ohne Kind unterwegs.

Am Eingang bin ich trotzdem am Poller hängengeblieben – und zwar mit dem Knie. Ich hatte viel Schwung an diesem Morgen. Ich hatte plötzlich sage und schreibe 45 Minuten Zeit für mich! Einfach so! Ich stand in diesem Café und hatte noch nichts davon gehört. Und weil ich mich so großartig fühlte, lachte ich über mein Missgeschick und sagte lächelnd zu dem Mann an der Theke “Habt ihr schon auf?” Der Mann hinter der Theke schwieg. Es war überhaupt unglaublich still. Man hörte weder eine Kaffeemaschine noch Musik. Meine Souveränität schwand:

“Ist das denn überhaupt ein Café?”, dachte ich, “oder ist das so ein komischer Pop-Up-Store?” In meinem Kiez sehen die Klamottenläden aus wie Cafés und umgekehrt. Verwirrend ich weiß. Ich blickte mich um. Schien nichts von alledem zu sein.

Ich legte meinen alten Geldbeutel tapfer auf die puristische Vollholztheke, die aussah als sei sie Stunden zuvor irgendwo im Schwarzwald zurechtgeschnitten worden, und räusperte mich. Der Mann, der dahinter stand, war sehr jung und sehr dünn. Er trug Schnurrbart, Mütze und ein kuscheliges Flanellhemd mit Karomuster. Er begrüßte mich mit schottisch gefärbtem Englisch. “Oh Gott”, dachte ich, “so früh kann ich keine Fremdsprachen”. Ich grüßte zaghaft zurück und bestellte einen Cappuccino. Was kann da schon schief gehen? Nun ja: Der Flanellhemd-Mann warf mir daraufhin diverse Variationsmöglichkeiten über den Tresen, und fragte nach meinem Namen.

Ich war total überfordert und sagte vorsichtig: “Vielleicht nehme ich einfach nur Kaffee? Mit nem Schuss Milch – ich habe sowieso nicht viel Zeit”. Das hätte ich besser nicht getan. Es folgte ein Vortrag über die Art und Weise wie man hier mit Kaffee umgeht. Das was ich verstand, fasse ich mal wie folgt zusammen: Selbst die Zubereitung eines normalen Kaffees erforderte Zeit, Geduld und Hingabe. Ich war spätestens jetzt in Panik, denn das sind alles Dinge, die mir aus verschiedenen Gründen seit mehreren Jahren vor 10 Uhr morgens nicht mehr zur Verfügung stehen.

Aber egal: Rein theoretisch weiß ich wie das geht mit Kaffee-Genuß: Ich habe mal 3 Wochen lang einen Barista in Italien bei der Arbeit bewundert, mich in seine Hände verliebt und wollte für immer dort bleiben. Ich kann Kaffee, beruhigte ich mich und blieb ruhig. Und das leider ziemlich lange. Auf meine Bestellung folgte eine Art japanische Teezeremonie für Bohnenkaffee. Meine neugierige Frage “wo habt ihr denn diese tollen Filter her” verhallte ungehört. In meinem Kopf tobte derweil die Assoziationskette. Mit Nichtstun kam ich damals nicht gut klar:

  • Ist der überhaupt noch da?
  • Wann ist der Kaffee fertig?
  • Und der Klassiker: Ich muss aufs Klo!

Gerade als ich nach der Toilette fragen wollte, besann ich mich. Allein die Erwähnung eines solch profanen Bedürfnisses würde ihn völlig aus dem Kaffee-Gleichgewicht bringen. Nicht auszudenken, dann geht das von vorne los. Ich beschloss einfach nicht auf Klo zu müssen. Bedürfnisse unterdrücken das kann ich, schließlich bin ich Mutter!

Schließlich war es dann so weit. Mein Kaffee – für mich Zen gebrüht –  stand dampfend auf unbehandeltem Vollholz. Ich griff gierig nach der Tasse. Der Kaffee schwappte über. Der Kaffespezialist im Flannelhemd zuckte, ich senkte meinen Blick verschämt zu Boden. “Mein Gott”, dachte ich: “Der setzt mich sofort auf die schwarze Liste? Dafür brauchen die die Namen – natürlich?”

Ich balancierte meine Tasse so schnell ich eben konnte durch den Raum. Nur weg von hier. Das Flanellhemd hob die Augenbraue. Aber wo sollte ich hin? Ich blickte mich um: Auf so einen dieser Melkschemel passe ich niemals drauf? Warum können die keine bequemen Stühle haben? Aber halt: Ich war jetzt und hier in einer “einfachen” Scheune. Komfort gibt es da nicht. Und das brauch ich alles nicht, ich bin Mutter: Maria war eine von uns und hat ihr Kind in so einer Scheune bekommen. Frauen wie ich kommen überall klar. Eben! Ich muss nur fokussieren und atmen:

ICH BIN IN EINER SCHEUNE VERDAMMT und ICH BIN MUTTER!

In diesem Moment zirpten Grillen in meiner Tasche: “Mein Handy”, rief ich “Wie lustig das passt ja – Grillen in der Scheune!”. Ich drehte mich dabei aber lieber nicht um, denn im gleichen Augenblick starrte ich auf ein kleines böse Schild, das mich an das Ruheabteil im ICE erinnerte. MIST! Spätestens jetzt brennt das Flanellhemd meinen Namen in die Vollholztheke – für immer und nachhaltig – mit einem Design-Lötkolben? Oh Gott darf man hier wenigstens eine Zeitung lesen? Nein – auch das schien nicht zum Konzept zu gehören, gab nix. Ich war zurückgeworfen auf meine bloße Existenz. Und das morgens vor 10 Uhr. Schöne Scheiße.

Ich trank irritiert meinen Kaffee. Immerhin hatte ich noch 25 Minuten freie Zeit. Der Kaffee war leider gut. Genießen konnte ich ihn aber nicht. Ich fühlte mich unwohl. Diese Hipster-Scheune, das kuschelige Flanellhemd an einem unterkühlten Mann, dieser aufoktroyierte Verzicht, all das machte mich kirre. Und genau in diesem Moment erschienen all die Menschen, die mir im Kiez immer auf den Keks gehen und ich wußte Bescheid: Diese Genuß-Diaspora ist nix für mich. Ich stand auf, brachte meinen Kaffee zurück und ging aus der Tür. Ich fühlte mich plötzlich total frei.

5 Minuten später saß ich in einem kleinen italienischen Delikatessenladen. Vor mir stand ein Cappuccino, von draußen drang Strassenlärm an mein Ohr. Der Wirt unterhielt sich lautstark mit einem Stammgast, ein Tourist fragte in gebrochenem Deutsch nach dem Klo. Ich las still grinsend eine Zeitschrift, während neben mir eine PEKIP-Gruppe tagte. So ist das, es gibt verschiedene Orte für verschiedene Bedürfnisse.

Jeder braucht eine Zuflucht manchmal. Ich kann verstehen, wenn Menschen Ruhe suchen oder von Kindern genervt sind. Ich bin das auch manchmal und ich habe immerhin eins. So ist das.

Vielleicht war die Mutter, die sich so furchtbar aufregt, einfach zur falschen Zeit am falschen Ort. Keine Ahnung. Unschön ist das alles auf jeden Fall. Aber eine Petition starten? Ich würde da kein Aufenthaltsrecht haben wollen. Ich will da gar nicht hin. Bei einem zweiten Besuch stellte ich nämlich fest, dass man auch nicht einfach das Laptop auspacken kann, wo man sitzt. Es gibt für alles Bereiche und Berechtigungen: Brüste, Laptops, Handys. Das ist mir zu kompliziert.

Und manche Leute ertragen tatsächlich den Anblick nackter Haut nicht. Ich hab mich erkundigt. Es gibt die tollsten Phobien. Zum Beispiel Arachibutyrophobie – das ist die Angst, dass Erdnussbutter am Gaumen kleben bleibt! Vielleicht bekommt ein Flanellhemd-Hipster eine Panikattacke in der Scheune mitten beim Kaffebrühen? Und dann? Die haben bestimmt keine Tüten in die man atmen kann! Nicht auszudenken was da alles passieren kann. Eben. Mütter haben Verantwortung.

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