Manchmal fällt mir wieder ein, dass ich einen unglaublichen Standortvorteil habe. Und Fortune. Und Energie. Zum Beispiel Samstag, da hatte ich drei potentielle Vernetzungstreffen am Tag. Mein Kind kommentierte meinen Haare raufenden Blick auf den Kalender mit den Worten: “Mama ich kann doch einfach zu X. – und da auch pennen?” Die Vorpubertät birgt unglaublich viel emanzipatorisches Potenzial für alle daran beteiligten.

Als mein Kind hinter der Haustür seines Freundes verschwand, stand ich ein bisschen verlassen im unschicken Teil von Berlin-Mitte. Eine Frau im Kamelhaarmantel, frisch geföhnt, selbstbestimmt und frei. Ich schaute wehmütig auf den Neubau vom Bundesnachrichtendienst schräg gegenüber, klappte den Mantelkragen hoch und dachte: alles was ich brauche ist James Bond, ein Schaumbad und 12 h Tiefschlafphase auf der Couch. Dann schlurfte ein schmächtiger Mann an mir vorbei ins BND-Schulungszentrum.

Zum Glück war ich schon verabredet. Ich fuhr zu Verena Schulemann von Mama Berlin, um über ein Projekt nachzudenken. Der Austausch mit anderen Frauen, fehlt mir total, dabei ist er wichtig und inspirierend.

Mutter, Kind – zusammen, allein und weit und breit kein Dorf?

Als ich vor 10 Jahren mein Kind bekam, war ich einigermaßen irritiert. Die Nähe zu diesem Menschen war vom ersten Moment an da – in rasender Geschwindigkeit und unglaublicher Verbindlichkeit, doch einen direkten Draht zu anderen Frauen, die Kinder haben, und Verbundenheit, die vermisse ich bis heute. Ich bin trotzdem nicht allein. Seit einer Dekade lebe ich mit dem mütterlichen Schweinehund, sobald er etwas Freiraum hat, gibt er laut und zwingt mich in eine Schonhaltung.

Geht das nur mir so? Nein, viele Mütter beklagen Isolation, Überlastung oder vermissen Solidarität – und das quer durch alle Schichten, sogar Frauen mit Partner, Putzfrau, Au-Pair und Oma beklagen sich. Und BloggerInnen. Momentan schwappt die Selbstfürsorge-Welle durchs Internet. 

Bekommen Frauen vom Universum zur Geburt des ersten Kindes eine Kette an den Fußknöchel, entweder Galeerensklaven dick oder filigran aus Platin mit Brilli, die sie voneinander fern hält? Obwohl Mütter quasi ab dem Durchtrennen der Nabelschnur für gute Beziehungen – innen wie außen – zuständig sind. Und das in den Alltag integrieren, ob sie wollen oder nicht.

Sind Mütter fürs Netzwerken zu bequem, zu doof oder zu egoistisch?

Beschränkt sich die “angeborene” Fähigkeit der Beziehungspflege tatsächlich auf den inneren Kern einer Kleinfamilie, oder auf Bastelgruppen, Mütter-Kind-Cafés, Kitas, Elternbeiräte oder Sportvereine?

Sind wir vielleicht einfach zu müde, weil wir Kinder haben?

Samstag konnte ich das für mich in einer Art sozialem Experiment überprüfen:

Nach meinem Termin bei Mama Berlin radelte ich mit meinem mütterlichen Schweinehund auf dem Gepäckträger ins SOHO Hause, zur Book Release Party von Malin Elmlid: “Oh mein Gott! Du bist die Frau mit dem Brot, entfuhr es mir” auf Instagram, als sie mich zu der Veranstaltung einlud.

Malin betreibt ein sehr erfolgreiches Blog “Bread Exchange”, wo sie ihr selbstgebackenes Brot gegen Geschichten eintauscht, vielleicht kennen das ja einige? Vor drei Jahren ist sie Mutter geworden, als Schwedin in Deutschland. Inzwischen lebt sie mit ihrem Mann und dem gemeinsamen Kind in Helsinki. Ihr Buch heißt “Mein persönlicher Mutterpass”. Es ist ein Ratgeber und eine sehr persönliche Auseinandersetzung mit dem zum-ersten-Mal-Mutter-werden-in-Deutschland. In der nächsten Woche werde ich Malin dazu interviewen, dann könnt ihr auch ein Exemplar gewinnen. Hier gibt es einen kurzen Teaser:

Das Interessante am “Mutterpass” sind Ergänzungen und Anmerkungen, in denen Malin eigene Erfahrungen, mit denen anderer Mütter/Väter ergänzt oder Vergleiche zu ihrer Heimat (Schweden) zieht. Das Buch ist voller guter Ratschläge, und natürlich gibt es auch einige Hinweise zum Thema Ernährung, schließlich ist Malin Foodbloggerin.

Ich hatte bei der Book Release Party auf ein umfängliches Brotbüffet mit gesalzener Rohmilchbutter spekuliert. Das gab es leider nicht, war trotzdem großartig, die Veranstaltung an genau diesem Ort zu machen: die Gesichter der Hipster, die im “The Store” ganz cool abhängen wollten, und dachten, sie seien aus Versehen im Mutter-Kind-Café gelandet.

Allein unter Powerfrauen oder eine Vulva macht noch keine Revolution

Danach flitzte ich wieder nach Hause. Mitte ist ja eigentlich ein Dorf. Ich fühlte mich auf dem Radweg, wie eine total angesagte Influencerin mit mindestens 500.000 Followern, bis ich dann in der U8 saß, und ein Dreijähriger mit Namen “Gustav” grinsend seine Bananenschale mit der falschen Seite nach unten auf meinem Kamelhaarmantel ablegte. Holy Moly, Mutti.

Aber was nimmt man nicht alles in Kauf für mehr Sichtbarkeit, Teilhabe und die Aussicht auf kostenfreie Kaltgetränke.

Um 19 Uhr gab es eine Podiumsdiskussion zum Thema “Mutterbilder” im Rahmen der Ausstellung Bitchmaterial im Kunstquartier Bethanien in Kreuzberg. Bis zum 08.04. kann man dort Arbeiten sehen, die sich mit dem Thema: Mutterschaft neu denken auseinandersetzen (hingehen!).

Auf der Bühne hatte sich eine spannende Runde zusammengefunden: Journalistinnen, Autorinnen, Aktivistinnen, Künstlerinnen und eine Hebamme, die so entzückend war, dass ich gleich noch mal in den Kreißsaal wollte. Mir persönlich fehlten allerdings Mütter im Publikum. Aber vielleicht sind die um diese Uhrzeit längst in die Spülmaschine gefallen, und gleich dort geblieben, weil sich das ein bisschen so anfühlt wie Dampfsauna? Wie auch immer:

Die Frauen auf dem Podium sprachen über ihre persönlichen Erfahrungen mit dem Rollenbild der Mutter und ihre Lebensumstände.

Die Bitch in uns – wahrnehmen ohne zu urteilen ist immer eine gute Idee

Mirna Funk sagte einen Satz über Empowerment, der mich sehr nachdenklich gemacht hat. Dass sie der Begriff Empowerment stört, weil sie das Gefühl hat, dass das immer so klingt, als ob Frauen mehr Motivation und Bestärkung brauchen, als sie mitbringen. Frauen müssten mehr wagen und als selbstverständlich einfordern.

Bei dieser Bemerkung versenkte ich den Blick schamhaft in das Exponat einer vor Power strotzenden Vulva direkt neben mir.

Ich ließ Mirna Funks Satz vor Schreck erstmal sacken, statt reflexartig zu denken: ja, ja – privilegierte Frauen haben gut reden, du konntest dir sogar die Fingernägel machen vor der Veranstaltung. Ich vergesse tatsächlich gern, dass ich einen großen Vorteil besitze, seit ich auf der Welt bin, einfach nur weil ich so bin wie ich bin. Ich hab auch jede Menge Nagellack, ich benutze ihn nicht. Und ich war früher ganz schön stutenbissig. Wie viele Frauen. Es gibt zahlreiche Studien, die dieses Verhalten belegen, und erklären wie es uns abhält, miteinander zu kooperieren.

Mittlerweile hab ich dieses, die Solidarität in die Flucht beissende, Muster fast abgelegt (hat auch nur ca.15.780 nach unten schauende Schweinehunde gedauert). Läuft.

Den Rest des Abends hörte ich zu, ohne zu urteilen. Ich empfand eine Stärke und Verbundenheit mit Frauen, die ich im Alltag gar nicht wahrnehme oder oft übersehe? Ich erkannte mich in vielen Sätzen wieder, die auf der Bühne fielen, während ich versuchte meinen Hintern auf einem Papphocker zu halten. Ich war eigentlich nur ein kaltes Craftbeer und eine Chaiselongue von der Übernahme des Bundeskanzleramts entfernt. Da ist ja auch schon eine Frau, fällt mir ein, aber die hat keine Kinder. Geht schon wieder los. Platz!

Der Schweinehund kommt ohne mich klar, mein Kind inzwischen auch:

Für die Zukunft habe ich mir vorgenommen, dem mütterlichen Schweinehund mehr Freilauf zu geben. Und mich mehr zu verabreden, oder überhaupt zu reden. Auch wenn ich müde bin. Das geht natürlich auch gut virtuell, in den sozialen Netzwerken, aber echte Nähe und Beziehungspflege unter Frauen kann das nicht ersetzen.

Wann ist dazu Zeit? Im Alltag sind Frauen oft aufgerieben von den Pflichten, und so müde? Und nicht jeder wohnt im Hipster Kiez? Oder hat Geld.

Die Veranstaltung war kostenfrei.

Was wäre wenn man aus der eigenen Erschöpfung mehr miteinander macht, sie zusammen nutzt, statt sich ihr allein oder kollektiv zu ergeben? Das meine ich nicht so böse, wie es klingt, meine sehr verehrten Damen (und Herren). Aber es wird sich nichts an den Umständen verbessern, wenn wir sie nicht ändern. Wer sollte das für uns tun? Zusammen ist man weniger allein. Das gilt in besonderem Maße für Mütter jetzt und hier in Deutschland.

Wie Frauen gut kooperieren könnten (rein theoretisch) selbst wenn sie (rein praktisch) keine Zeit haben

Wir sind im Vergleich zu Skandinavien 30 Jahre zurück was Vereinbarkeit und wirtschaftliche Unabhängigkeit angeht. Wir müssen losgehen zusammen, egal von wo.

Ohne die freundliche Erinnerung einer Bekannten aus München, die mich auf Facebook darauf aufmerksam machte, dass es diese Veranstaltung in Berlin gibt, und Inge, eine gemeinsame Bekannte von uns beiden, dafür extra von Leipzig nach Berlin kommt, hätte ich das übrigens alles verpasst. Auch die vor Kraft explodierende Vulva.

Kooperation unter Frauen fetzt!

PS:

Und weil ich fetzigen, roten Lippenstift trug, hab ich Mirna Funk nach der Podiumsdiskussion angesprochen, als wir gleichzeitig nach einem Salamibagel griffen. Wir haben uns gut unterhalten und über Steuerklasse 2 aufgeregt.