rein theoretisch ist alles gut

Kinder und Karriere: Wahrheit oder Pflicht

Meine Freundin Kea startet gerade auf Instagram wieder mal den Versuch, etwas mehr gesellschaftspolitische Inhalte in dieses glatt polierte Netzwerk zu kippen. Sie hat zur #femaleempowermentchallengeDE aufgerufen. Ich mache mit, heute geht es zum Beispiel um Kinder und Karriere. Das ist ja voll mein Thema.

Wahrheitsgemäß müsste ich schreiben “das war voll mein Thema”, seit ein paar Jahren ist es kompliziert, weil wir gerade so offen sprechen und hier unter uns sind: In Deutschland geht Karriere mit Kindern selten gut.

Die meisten Frauen, die arbeiten und Kinder haben, wissen wovon ich spreche. Der Rest hält sich bitte zurück, und liest erstmal. Was hat das denn mit #femaleempowerment zu tun?

Wenn mehr Frauen über die Herausforderungen und Unmöglichkeiten sprechen würden, die Kinder und Karriere in Deutschland 2018 immer noch bedeuten, dann würde sich vielleicht mehr Druck aufbauen, der sich mal konstruktiv entlädt. Tatsache ist: ich war kurz nach meinem Wiedereinstieg versucht, eine volle Windel ans Familienministerium zu werfen, dabei war ich auf der katholischen Mädchenschule und hatte eine Eins in Betragen.

Was man zum erfolgreichen Wiedereinstieg alles braucht

Ich hab mir das damals anders vorgestellt mit dem Wiedereinstieg und Anknüpfen an meine Karriere. War das naiv? Nein, wenn man mit Ende 30 beruflich gut dasteht, viel Berufserfahrung hat, belastbar ist wie eine Trümmerfrau und als Resilenz-Prototyp in Serie vom Band rollen könnte, und wahnsinnig gut vernetzt ist, dann sollte das reichen.

Nicht in Deutschland.

Hier sollten Frauen, die nach der Geburt wieder in ihren Beruf einsteigen wollen, und weiter Karriere machen, folgendes besitzen: Geld, Mann, Kitaplatz und Haushaltshilfe.

Kinder und Karriere sind ein Privileg – 2018 in Deutschland

Letztes Jahr um diese Zeit habe ich einen Artikel geschrieben, der hieß “Working Mom: warum Deutschland ein Problem hat und ich keinen Bock mehr”(siehe Link am Ende des Artikels). Der ist immer noch sehr aktuell. Er war ein Wut-Post und eine Art Mobilmachung. Es hat sich leider nichts geändert. Weder für mich, noch für die Mehrheit der Mütter.

Im Gegenteil. Die Wirtschaft und Gesellschaft dieses Landes haben immer noch i weiten Teilen familienfeindliche Strukturen und das bleibt so. In den nächsten Jahren erwarte ich keine Verbesserungen oder nachhaltigen Maßnahmen, das ist kurzsichtig.

Wie sehr es mit der Gleichberechtigung bzw. Vereinbarkeit hakt, merkt man nämlich, wenn man nach der Elternzeit wieder in den Beruf einsteigen will. In den seltensten Fällen machen Frauen da weiter, wo sie vor dem Kind aufgehört haben. Manche verlieren sogar den sicher geglaubten Job.

Braucht Deutschland die Mütterquote?

Viele Jahre hat man hierzulande darauf verzichtet, eine Frauenquote einzuführen mit dem Hinweis, man wolle auf gar keinen Fall unqualifizierte Kandidatinnen in eine Position befördern nur weil sie Frauen sind. Die Quote ist freiwillig, und nicht gerade der Renner in Deutschlands Unternehmen. Die Angst vor der falschen Frau ist völlig unbegründet. Hier kommt ein zarter Hinweis: 

Die Karriereleiter fällst du eher runter als rauf als Frau. Und hochschlafen geht irgendwie auch schwer, wenn man Kinder hat. Es ist doch so: wenn Mütter es auf die Besetzungscouch schaffen, schlafen sie endlich mal durch.

Die mütterliche Schrottpresse – Erziehung/Sorgearbeit und Erwerbstätigkeit

Der sehr hohe Anteil von Müttern in Teilzeit ist nicht der deutsche, konservative Sonderweg in Europa und der Welt, sondern ein hausgemachtes Problem. Frauen reagieren einfach nur auf oder fügen sich in Verhältnisse, die unsere Gesellschaft, Wirtschaft und Politik seit Jahrzehnten durchdringen.

All diese Bereiche werden überwiegend von Männern besetzt, gedacht und bestimmt. Und das sind in der Regel keine fortschrittlichen Denker und Lenker – vor allem nicht was Arbeitszeitmodelle angeht, weil sie es nicht anders kennen oder so wollen? 

In Deutschland bedeutet eine volle Stelle in der Regel, mindestens 38 Stunden vor Ort zu sein. Und aus der Teilzeit werden keine Karrieren gemacht. Vor der Bundestagswahl nahm ich an einem Vortrag teil. Ein Mann von der OECD warf Zahlen einer Studie mit dem Beamer an die Wand, er erklärte, dass man grundsätzlich wissen müsse, dass in vielen Ländern Vollzeit das sei, was in Deutschland Teilzeit wäre. Also 28 – 32 h pro Woche. Damit könnten die meisten Mütter in Deutschland noch gut zurechtkommen. Doch das gibt es viel zu selten bei uns. Jeder Versuch vom 8 Stunden Tag abzuweichen, wird als nicht realisierbar niedergebrüllt oder Zukunftsmusik verlacht. Im fortschrittlichen Skandinavien lächelt man zurecht über solche Reaktionen.

Arbeiten mit Kind (ern) ist ganz schön teuer

Nach 10 Jahren weiß ich, wie anstrengend Erwerbstätigkeit in Kombination mit Erziehungs- und Sorgearbeit ist. Ich habe viele Jahre sehr viel geschafft. Eine 50 – 60 Stunden Woche in meinen Job. Geklappt hat das trotzdem, vor allem als meine Mutter nach Berlin gezogen ist, als sie in Rente ging, und ich eine gute Kita gefunden hatte für die ich in meiner Freizeit noch als Vorstand arbeitete (Freizeit = 23 – 2 Uhr Anm. d. Verf.). Oder eben jetzt, weil mein Kind auf eine prima Ganztagsschule geht.

Es geht an die Substanz und an den Geldbeutel berufstätig mit Kind zu sein. Und noch etwas kommt hinzu als Belastungsfaktor: die wachsende Zahl von befristeten Arbeitsverhältnissen. Das macht vielen Frauen zurecht keine Lust darauf, überhaupt oder mehr als ein Kind zu bekommen.

Was berufstätige Mütter zu hören bekommen

Liegt der geringe Anteil an Frauen in höheren Positionen wirklich nur an der fehlenden Belastbarkeit, und der Angst Verantwortung zu übernehmen? Jede Mutter sollte sich jetzt laut sagen: NEIN DAS MACHEN WIR DOCH JEDEN VERDAMMTEN TAG.

Sechs Wahrheiten zum Thema Kinder und Karriere:

  1. Es gibt in Teilen dieser Republik keine Kindergärten, oder Kitas bzw. tatsächlich noch welche, die über Mittag schließen. Andere haben Öffnungszeiten wie zu Wirtschaftswunderzeiten. Vor allem im ländlichen Raum. Ich finde die Diskussion über die 24 h Kita sehr spaßig. Es wäre ja schön, wenn überhaupt mal flächendeckend gute Kinderbetreuung möglich wäre bis 16 Uhr. Eine Freundin berichtete kürzlich von ihrer Schwester in Bayern, die nach 2 Jahren Wartezeit einen Betreuungsplatz im katholischen Kindergarten bekam. Der einzige im Umkreis von 20 km. Die Leiterin jubilierte folgenden Satz ins Telefon: “Frau X wir können die Kleine von 9 – 12 Uhr in Obhut nehmen”. Wer jetzt denkt: “Warum muss man in Bayern leben und Kinder kriegen, da ist doch die CSU selbst schuld” – darum geht es nicht. Es geht darum, dass Frauen die Wahl haben überhaupt zu arbeiten, und ja auch Karriere machen können, wenn sie Kinder haben und zwar überall in Deutschland.
  2. Nach vier Jahren Vorstandsarbeit in einer Elternintiativkita, weiß ich, wieviel dem Staat gute Betreuung und Essen von Kindern wert ist: immer noch zu wenig. Verlässliche, gute Kinderbetreuung ist aber essentiell für die berufliche Entwicklung der Mutter. Da geht es nicht nur um Öffnungszeiten, sondern um Qualität, Wertschätzung und gute Beziehungen. Bei dem Wort Betreuungsschlüssel bekomme ich immer noch Schnappatmung, dabei ist mein Kind schon fast aus der Grundschule. Gutes Stichwort:
  3. Der Unterrichtsausfall an Schulen ist höher als man denkt. Die “verlässliche Halbtagsschule” existiert, allerdings auf dem Papier. Alle Frauen, deren Kinder regelmäßig unvorhergesehen früher Schluß haben, während die Mutter gerade einen beruflichen Termin hat, oder bis mittags auf Dienstreise ist, können dies bestätigen.
  4. Hort und Nachmittagsbetreuung: “Heute-Kinder-bitte-schon-um-14-Uhr-abholen-weil-kein-Personal”-Zettel sind der Grund, warum man Müttern zur Einschulung nicht gratulieren sollte, sondern einen Flachmann überreichen. Der Erziehermangel führt übrigens dazu, dass gern unqualifiziertes Personal zur Betreuung eingesetzt wird, oder Kinder völlig unbeaufsichtigt sind, weil die Erzieherin gerade nach den anderen 80 Kindern sieht, die sie sonst noch betreut im Schulhaus. Aber der liebe Gott und Ikea haben Deutschland ja die Bügelperlen geschenkt. Schult auch die Motorik. Dass Hausaufgaben während der Betreuung nicht gemacht werden mit dem Hinweis, dafür hätte man keine Kapazitäten, ist übrigens auch ein Klassiker – das hört man nicht nur in Notstandszeiten. Vielleicht kann man mal Bügelperlenschablonen mit Rechenaufgaben bedrucken? Apropos:
  5. Hausaufgaben: Es gibt sie, mehr als man denkt, Kinder hassen sie, Mütter hassen sie, beide machen sie, weil sie müssen. Keiner weiß warum. Auch viele Lehrer nicht, aber war halt schon immer so, auch bei uns damals. Es werden auch immer mehr. Hausaufgaben, nicht Kinder. Und noch etwas ist seltsam: Je später die Kinder aus der Schule kommen und die Mütter aus dem Büro, desto höher das Risiko, dass Nachbarn denken, jetzt wäre mal Zeit das Jugendamt einzuschalten. Alles total normal? Seit mein Sohn auf eine prima Ganztagsschule geht, sind Hausaufgaben übrigens kein Thema mehr bei uns. Unsere Nachbarn grüßen mich sehr freundlich auf der Treppe. Kürzlich habe ich das Hausaufgabenheft meines Kindes gefunden aus der alten Schule, aus dem Schriftverkehr zwischen der Lehrerin, dem Erzieher und mir, könnte man eine aberwitzige Miniserie drehen. Titel: Denn sie wussten nicht was sie tun. Es war übrigens die erste Klasse einer ganz normalen verlässlichen Halbtagsschule, das was sich Ottilie Normalverbraucherin leisten kann bis sie dann das Vorstandsgehalt bekommt. Just saying.
  6. Verfügbarkeit und Präsenz: Es gibt Chefs (weiblich wie männlich), die legen interne Besprechungstermine in denen alle präsent sind, weil sie müssen, und es eigentlich um nichts wichtiges geht, aber man muss sich ja mal wieder zusammensetzen, grundsätzlich auf nach 16 Uhr, weil das immer schon so war, und man ja die einzige Mutter im Betrieb ist. Das wäre das falsche Signal, das zu ändern. Der Satz: “In Schweden bist du als Manager der Loser, wenn du es nicht schaffst um 16 Uhr deine Kinder von der Kita abzuholen”, sollte auf Tassen gedruckt werden und bei Rückkehr in den Job in allen Chefetagen Deutschlands verteilt werden. Vor allem in mittelständischen Betrieben und Agenturen. Genau wie der Spruch “der Letzte macht das Licht aus und Karriere ist so 1958!” Da kann man sich dieses komische Prädikat “Familienfreundlicher Arbeitgeber” vom Familienministerium sparen. Genau wie gutgemeinte Effizienz- oder Timemanagementkurse für frisch gebackene Mütter. Da sollte man als Frau die Tassen aus dem Schrank holen und gehen, weil die Wahrscheinlichkeit, dass an diesem Arbeitsplatz familienfreundliche Strukturen implementiert sind, oder echte Diversität herrscht, sind relativ gering.
  7. Es gibt unterschiedliche hohe Sätze von Betreuungskosten je nach Bundesland. Ich habe Freundinnen in anderen Bundesländern, die zahlen die Hälfte des Gehalts für Kinderbetreuung. Und lachen herzlich über den Hinweis, Mütter müssen halt privat für ihr Rente vorsorgen. Es ist auch unglaublich, wie langsam manche Behörden Anträge auf Betreuung bearbeiten. Beispiel: eine Mutter arbeitet andere Schichten oder erhöht die Stunden, oder wird befördert – sie hat schon einen Betreuungsplatz, der nur verlängert werden muss um 2 h, nämlich statt bis 16 Uhr auf bis 18 Uhr – das dauert dann schon mal mehrere Monate? Ich meine das muss man sich mal vorstellen, sagst du halt deinem Chef: “es ist in Bearbeitung”, dann antwortet er/sie hoffentlich nicht: “Ihre Karriere ist leider auch in Bearbeitung Frau Schmidt?”. Statt betriebsbedingter Kündigung, müsste es in vielen Fällen betreuungsbedingte Kündigung heißen.

So, das war es, ich könnte einen Roman schreiben. Aber ich bin fertig für heute. Jedenfalls hier, weil eigentlich schafft man ja den ganzen Tag als Mutter.

Hier noch einige Leseempfehlungen aus meinem Blog. Wahr aber lustig:

 

Working Moms nerven? Warum Deutschland ein Problem hat und ich keinen Bock mehr!

Die Top 5: Killer-Sätze, die keine arbeitende Mama braucht

 

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