Am letzten Samstag war es soweit, zum zweiten Mal war ich beim Female Future Force Day von Edition F. Im letzten Jahr war ich Gast, in diesem Jahr Speakerin. Jetzt ist Dienstag. Alles wieder vorbei. Hab alles sacken lassen, und eigentlich verdaut. A
ber vielleicht liegt es an meinem sensiblen Verdauungstrakt, der Anzahl von Jahren auf diesem Planeten, meiner proletarischen Herkunft, meinem kritischen Hirn, einer unkooperativen Frau im Foodtruck, Macrame bei Mercedes, whatever: ich fühle Mangel Schatzis. Ich bin nicht wirklich zufrieden, irgendwas fehlt mir. 

Was stimmt nicht mit mir?

Dabei war es alles bombastisch, prall, schön, positiv, pink: die Location, das Programm, die Goodie Bags, die Frauen.

Da hab ich die Chance, mich auf eine Bühne zu stellen, 15 Minuten zu sprechen, mich zu promoten, und ich bekomme meinen Collagen unterversorgten Hals (nie fiel mir das mehr auf als am Samstag) immer noch nicht voll. Nicht, dass wir uns falsch verstehen: ich bin dankbar. Charlotte Roche war auch da, und wurde von einem Mann im Scheidenkostüm interviewt. Es gab doch so viel. Tja.

Dabei hab ich dieses Mal alles richtig machen wollen. Ich hab über Nacht zwei Ampullen auf meiner Haut verteilt, ich hab keine Masterclasses gebucht, weil ich mich mehr aufs Netzwerken konzentrieren wollte. 

Getroffen hab ich viele bekannte, tolle Frauen (z.B. Alu von Grossekoepfe, Patricia von dasNuf, Mareice Kaiser von Zett, Jenna BehrendsMay-Britt Jungjohann, die bei der Republica spannende Sachen macht) – und eine neue, tolle, Frau – wobei richtig kennen gelernt hab ich sie erst bei Twitter, nachdem wir uns dort unter dem Hashtag #fffday nachhaltig über einen Foodtruck echauffiert hatten. Moment. Nachhaltigkeit, ein gutes Stichwort:

Bevor ich hier weitermache, wertschätzend und lösungsorientiert, wie ein pinkfarbener Vibrator auf der mittleren Stufe (der länger als 35 Minuten hält, Spoiler bleibt dran) muss ich mir selbst ein Mantra um die Ohren hauen: ES IST NICHT DEIN EVENT SUSANNE.

Das ist im doppelten Sinne wahr, ich gehöre nicht zur primären Zielgruppe, und ich hab es nicht organisiert.

Warum Frustfressen auch nicht immer hilft

Menschen, die mich kennen, wissen, dass ich seit über 20 Jahren Events mache. In meinem Kopf öffnet sich auf jeder Veranstaltung eine Art Meta-Excel-Liste in die ich unbewusst Beobachtungen packe, positive wie negative, damit muss ich leben. Das geht inzwischen ganz gut, ich misch mich nicht mehr ein. Wenn was ganz, ganz schlimm ist, hilft spontanes Frustfressen, oder ein Drink: ich kann mit vollen Mund nicht spontan klugscheissen.

Mein erstes Verlangen nach einer Familienpackung Schnapspralinen überkam mich um 10:45 Uhr am Mercedes Stand, direkt gegenüber vom Einlass. Macramé Kurs stand da auf einer Tafel. Ich überlegte eine Millisekunde lang mit meinem Lippenstift: “Bertha Benz hat die Bremsbeläge erfunden und kotzt im Strahl” quer drauf zu schreiben, aber dann kam Curse im Gegenlicht auf mich zu.

Ich erinnerte mich zum Glück daran, dass ich im Privaten schon lange meditiere, um meine Wut auf herrschende Verhältnisse in der Gesellschaft wenigstens kurz weg zu atmen, wenn auch mit mässigen Ergebnissen. Danke Patriarchat. Ich hatte keine Zeit für ein Selfie im Gegenlicht mit dem ersten Promi. Oder doch?

Rein theoretisch konnte Frau alles haben. Es war nämlich ein sogenanntes silent event. Am Eingang gab es einen Kopfhörer, damit warst du mittendrin, statt nur dabei. Gott sei Dank, weil ohne dieses Tool wäre es sehr schwierig gewesen. Die Hallen sind sehr groß, gleichzeitige Vorträge sind kein Spaß für Teilnehmerinnen, wenn der Sound einer Session mit der anderen ständig Ping Pong spielt. Hab ich mal 2001 erlebt, da gab es sowas noch nicht.

Wie war das da so live und in Farbe?

Dank der Kopfhörer konnte ich den ganzen Tag immer wieder in Panels und Vorträge reinhören, obwohl ich gar nicht da war, weil ich noch irgendwo anstand (spoiler) oder mich kurz unterhielt. Soweit so gut, wobei ich mich schon frage, warum du überhaupt auf einem Event bist, wenn es sich streckenweise anfühlt wie Podcast Bingen. Wie gut kannst du Menschen begegnen, wenn gleichzeitig auf dem Ohr ein Vortrag mitläuft? Alles zerfasert, wenig bleibt hängen. Mich stresst das.

Für die auf der Bühne ist es auch eine Herausforderung, wenn ständig Menschen kommen und gehen. Das ist halt so heutzutage, oder das Problem mit großen Locations?

Ja, wobei ich denke, es ist ein komplexeres Konzept-Problem. Es ist ein bisschen so, wie gemeinsam durchs Museum gehen mit Kopfhörern. Im Zweifel fehlt das gemeinsame Erlebnis, z.B. die Auseinandersetzung vorm Original, wo findest du zusammen? Ich stand auch schon vorm Museum und dachte: Alter, was machen wir da eigentlich? Nächstes Mal ohne, oder allein.

Schlange-Stehen als Networking Session

Es gab einige Beschwerden über die Catering Situation. Es war ein großer Fortschritt zu letztem Jahr, wo es leider Plastikflaschen gab und Essen im Überfluss. Die Info, dass Catering nur gegen Cash zur Verfügung stand, kam bei mir leider nicht an, ich war Speakerin, da gab es diese Infos nicht. Insofern hatte ich nicht ausreichend Bargeld mit, und ging bis Programmschluss leicht hangry durch die Hallen.

Mein Vortrag lief gut, obwohl ich improvisieren musste, und vorher am Surrito Foodtruck kurz übergekocht war. Eine Frau mit Unverträglichkeit wurde mit dem Satz „keine Sonderbestellung“ abgefertigt, nachdem sie 90 Minuten gewartet hat. Man hätte nur ein Stück Mango weglassen müssen. WTF. Regt mich immer noch auf. Das Beispiel von inflexiblen Strukturen, und Machtverhältnissen, die diskriminieren, hab ich gleichmal im Vortrag verarbeitet. 

 

Ich war sehr erstaunt, dass ich gelobt wurde, dass ich kritisch war. Was ging da ab auf den anderen Bühnen? Oder hab wieder nur ich Probleme gehabt? Was ich vom Programm mitbekam hatte einen politischen Aspekt. Vereinbarkeit ist das große Thema für Frauen, und mehr als ein 1.000 EUR Kinderwagen, oder Einstellungssache. Oder Abhängigkeit von den richtigen Partnern.

Together we have, ja was eigentlich?

Die Frage, die sich mir stellt ist, nachdem ich viel auf Social Media gelesen hab, ist: mit was für Erwartungen kommen Frauen zu dem Event, die Geld dafür bezahlt haben? 

An dieser Stelle ein kleiner Exkurs zum Thema Ticketing, das treibt mich seit Jahren um. Die Nachweise und Kategorien in denen Veranstalterinnen beim subventionierten Ticketing denken, sind nicht mehr zeitgemäß. Trotzdem kostet diese Veranstaltung Geld. Die Eventfläche ist nicht gerade das Schnäppchen, sie braucht jede Menge Logistik, die Bühnen und die Technik waren super professionell, es gab viele Goodies, das alles kostet. Ich denke wir sind da im 6 stelligen Bereich. Und da ist die Arbeit der Redaktion nicht mit gerechnet. Das muss du erstmal stemmen.

Ich finde die Ticketpreise insofern nicht zu teuer. Da mag jetzt ein Aufschrei losgehen, aber isso. Rechnest du aber den Hype, die Erwartungen gegen, die viele Frauen mit diesem Event verknüpfen “Alone we have Power, Together we have Force“, dann bleibt für viele ein Minus:

 

  1. Power: Empowerment gut und schön, aber für wieviele Frauen im Berufsleben gilt: alone we have Power? Vor allem wenn sie Kinder haben. Ich denke das ist ein bisschen sehr pink gedacht. 

  2. Force: welche Handlungsaufträge an Gesellschaft und Politik ergeben sich aus diesem Event? Werden wirklich Netzwerke gestärkt und gebildet? Ist das überhaupt angestrebt?

  3. Together: Fühlten sich alle Besucherinnen gleich gut repräsentiert? Wer geht da hin? Was ist die Zielgruppe, bzw. wie divers muss ein Event sein, der “Future” im Titel hat.

Ja, für mich war das Event inspirierend und eine Chance. Es hat mir Gelegenheit gegeben, zu entdecken, dass ich mehr sprechen will, und das gut kann. Ich habe mich weiter vernetzt, aber einmal mehr erkannt, dass es Frauen nichts bringt, wenn sie netzwerken wie die Männer. Auf einer Ebene, in einer Bubble.

 

Was ich mitnehme (ausser dem Vibrator in der Goodie Bag)

Wir haben nicht den gleichen Anteil an Macht, oder flächendeckend Gentleman Clubs mit Holzvertäfelung und Kinderbetreuung. Ok vielleicht in Prenzlauer Berg ein oder zwei. 

Was wollen wir in Zukunft erreichen: beruflichen Erfolg für mehr Frauen oder wirklich andere Machtverhältnisse. Darüber müssen wir offen sprechen, falls Feminismus nicht nur Marketingtool ist oder Employer Branding (hätte mich fast als Diversity Stress Test in die Recruiting Sessions gesetzt). 

Fazit:

Es wurde an diesem Tag mehrfach gefordert: Frauen sollen Steigbügelhalterinnen sein für andere. Die, die oben ist, muss die andere mitziehen. Dann kommen wir voran. Schöne Idee. Ich dachte mir dann: sind die jemals geritten? Wieviele Frauen passen auf ein Pferd, und reiten dann gemeinsam in den Sonnenuntergang (Rentenpunkte, Führung in Teilzeit, hochwertige Kinderbetreuung in Germany for everyone, Equal Pay, Parlamente etc.)  

 

Steigbügel bringen uns zu wenig, weil nicht viele von uns nach oben. Ich kann auch solche Belehrungen “schafft Euch erstmal ein finanzielles Polster, sucht Euch die richtigen Männer”, nicht mehr hören, vor allem von Frauen, die 30 Jahre dafür Zeit hatten oder Privilegien haben. In welchen Bedingungen leben Frauen in Deutschland mehrheitlich? Eben.

Steigbügel schön und gut, aber wer kommt dann hoch?

Wir brauchen keine Steigbügel sondern Strickleitern – dazu brauchen wir nicht nur horizontale Verknüpfungen sondern auch Verbindungen von oben nach unten. Wie kann das gehen? Ich denke darüber leise nach. Schon länger. Und unabhängig von meiner Kritik, die konstruktiv gemeint ist, will ich mich bedanken beim ganzen Team von Edition F, ich weiss was das für eine Arbeit ist, ein Event dieser Größenordnung zu stemmen.

Wer bis hierher gekommen ist bekommt jetzt endlich den Vibrator!

TL:DR: Richtig kommen ist für Frauen ein kurzes Vergnügen. Das Ding aus der Goodie Bag läuft einmal für 35 Minuten durch, dann kann Frau es wegschmeissen. Deswegen steht auf der Packung auch “One Night Stand” – den gibt es tatsächlich auch so im Handel für 9,99 EUR. Jetzt mal im Ernst: so viel Materialverbrauch, ohne Mehrwert, das ist einfach nicht mehr zeitgemäß. Wenn da wenigstens noch eine Aktion draus gemacht worden wäre, ich hätte da als Marketingfrau die Tüte flott bedruckt.

Hello Beautiful, bitte pack mich erst am Weltfrauentag, 8. März 2020 aus. Um 15 Uhr legen wir alle die Arbeit nieder, ob bezahlt oder nicht, und dann uns, dann kommen wir zusammen, aber sowas von, weil together we have force. 

 

Alter.

Zusammen kommen. Das wär es gewesen. 

Wobei das ist dann halt auch nur einmal? Und 15 Uhr: oh Gott dann hat ja jede mit Kind den Druck im Nacken: 16 Uhr Schliesszeit. 

Tja. Wieder nix. Oder ein Anfang?

 

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