Gestern Abend habe ich einen Beitrag gelesen und war sehr traurig. Mutterseelesonnig veröffentlichte auf ihrem Blog einen Text über das Alleinsein und die Sehnsucht nach einem weiteren Erwachsenen: “Wenn die Kinder nicht da sind, gibt es eine kurze Pause von der Selbstkontrolle und ich starre in das Vakuum meiner Seele. Die Abwesenheiten der Kinder sind zu kurz, um mir was anderes aufzubauen. Netzwerk, Freunde, Hobbies. Und sie sind zu lang, um diese Leere auszuhalten.”
Warum Leben mit Kind ein großes Abenteuer ist – rein theoretisch:
Solche Momente kenne ich. Das kommt vor, obwohl ich oft sehr lustige Sachen sage oder hier schreibe. Ich bin viele Tage im Jahr keine naturbegabte Komikerin, ich bin eine ganz normale Frau mit ganz schön viel Gepäck im Rucksack. Mein Alltag fühlt sich streckenweise ein bisschen an wie ein Interrail früher, nur ist der Reisegefährte jetzt ein sehr aufgewecktes Kind, das ungefähr 534 Mal am Tag “MAAAAAAAAAMMMMMMAAAA” brüllt und sehr gerne an meinem Bein schaukelt, obwohl er dafür mindestens 7 kg zu schwer ist.
Für dieses Leben bin ich sehr dankbar, es ist ein schönes Abenteuer, doch manchmal will ich einfach nicht mehr aus und mit dem irre schweren Rucksack leben, ich will Komfort und in ein frisch bezogenes Himmelbett sinken.
Seit fast 10 Jahren bin ich jetzt beim Mutter-Kind-Interrail dabei, irgendwann hing mein Energiehaushalt knapp über der Teppichkante, ich machte zu wenig Pausen und meine Schilddrüse spielte verrückt.
Das mit dieser irren Drüse hat sich mit Hilfe minimal-invasiver Chirurgie sehr gut geregelt. Der nette Professor hat mich damals beruhigt und gesagt: “Ich bin bei Ihnen Frau Triepel, das wird alles gut gehen”. Ich habe ihm geglaubt, ich hatte schon ein Beruhigungszäpfchen intus. Er erinnerte mich an Professor Brinkmann, ich antwortete als brave Kassenpatientin comme il faut: “Ok ich will nur nicht, dass mein Hals bis zur Kniescheibe hängt, wenn sie mich ausräumen – ich will kein Truthahn sein – bitte”. Er hat sich dran gehalten.
Alltag und was er aus dir macht oder du aus ihm – Erkenntnisse:
Ich schaue trotzdem an manchen Tagen in den Spiegel und erschrecke, weil mich eine Frau ansieht, die so aussieht wie ich nur in alt. Jedenfalls kann man auf ihrer Stirn je nach Lichteinfall Tick Tack Toe spielen. Dann seufze ich innerlich ich-bin-ein-Star-holt-meinen-Porzellanteint-und-mich-hier-raus-das-hab-ich-nicht-bestellt-beim-Universum, und tätschele mir aufmunternd die Wangen, bevor mein Kind ins Bad platzt. Allein ist man nämlich irgendwie nie als alleinerziehende Mutter.
Energetische Plattheit ist aber kein Ein-Eltern-Nischen-Phänomen. Oder eine traurige Geschichte vom Rand der Gesellschaft. Das ist ziemlich verbreitet. Es trifft die besten von uns. Aber muss das sein, steht das im Kleingedruckten im gelben Mutterpass unter den Angaben zu deiner Blutgruppe? Ich arbeite doch noch nicht mal voll? Wo führt das hin? Bin ich nicht mehr belastbar? Warum ist es bei anderen besser? Obacht Mutti, wenn diese Fragen kommen, sollte die Selbstfürsorge-Alarmglocke schrillen.
Der Mutter-Haderer, Selbstzweifel und andere Nebenwirkungen:
Anfang der Woche war es bei mir wieder soweit. Der Mutter-Haderer kam nach langer Zeit zu Besuch. Der steht anscheinend auch im Kleingedruckten im Mutterpass, bei manchen von uns mogelt er sich unter die Erstausstattung und macht dich fertig. Der Haderer ist ein Selbstzweifel, der dich und wie du lebst in Frage stellt, weil es nicht so ist, wie du es dir mal vorgestellt hast oder es laut irgendwelcher herrschender Ideale sein soll.
Mein Mutterer-Harderer hat ganz viel mit wirtschaftlichem Erfolg zu tun. Das ist bei jeder Mutter wahrscheinlich verschieden, je nach aktuellem Lebensumstand, Prägung und eigener Familiengeschichte.
Wie auch immer: Ich heulte heimlich in der Küche in ein Geschirrtuch. Ich fühlte mich so gar nicht wie eine Leitwölfin, sondern wie ein hilfloses Kätzchen, das im Pappkarton im Hinterhof vor die Tonne gestellt wurde, ausgesetzt bei strömendem Regen. Verschiedene Dinge, die an diesem Tag sehr ungünstig zusammenkamen waren daran schuld – an mindestens einer Sache kann ich nichts ändern, es sei denn ich erbe demnächst oder gewinne im Lotto. Das miese Gefühl der Unzulänglichkeit kommt also eine Weile wieder.
Leben was ist, ist verdammt viel manchmal und kostet Kraft:
Am nächsten Tag hatte ich keine Post von einem Nachlassverwalter in der Schweiz im Briefkasten, ergo fühlte ich mich nicht besser. Ich wollte nicht aus dem Haus in meinem Zustand, tat es trotzdem. Resultat: Ich versemmelte einen Termin mit einer Freundin, zog mich zurück und leckte meine Wunden. Wie blöd: Eigentlich wollte ich nur, das mich jemand in den Arm nimmt und sagt “alles wird gut”. So wie Mütter das ständig tun für ihre Kinder. Ist halt bloß keiner da für uns – vor allem wenn du alleine lebst. Ja das stimmt, doch es gibt Hoffnung. Zum Glück ist die Welt näher gerückt! Es gibt ein virtuelles Dorf auf das ich bauen kann. Ich bekam Trost von drei tollen Frauen. Das war keine echte Umarmung, aber immerhin waberte ein Gefühl von menschlicher Wärme vom Display in meine Wohnung, das gab mir Zuversicht. Ich ging zur Arbeit.
Am nächsten Tag war meine Mini-Panikattacke weg, ich wusch mir einigermaßen hoffnungsvoll die Haare und ging zum Yoga, das tat mir sehr gut. Vor ein paar Jahren wäre das nicht so passiert. Ich hätte solche Gefühlszustände niemals vor jemand anderem zugegeben oder sie mir erlaubt. Stärke und Stolz umgaben mich wie eine schöne feste Mauer, oder eine Rüstung, die trug ich überall mit mir herum – darin fühlte ich mich vermeintlich wohl und geschützt.
Zusammen ist man weniger allein und was das mit Falten zu tun hat:
“Ich schaffe alles allein” stand auf meiner Stirn, auch wenn es sich nicht so anfühlte oder war. Dieser Satz ist mittlerweile verschwunden. Ich habe ihn weggewischt mit einem feuchten Tuch in das ich Rotz und Wasser geheult habe in den letzten drei Jahren. Die feinen Linien auf meiner Stirn auf die ich die Worte geschrieben waren, die sind noch da. Die gehören zu mir. Ist nicht so schlimm: Sie erinnern mich im besten Fall an all das was war und mich hierhin gebracht hat:
Vieles ist dazu gekommen, seit die Worte weg sind. Es ist Platz da für Licht, Luft, Menschen und für hochwertige Hautprodukte, die ich mir irgendwann bestimmt mal wieder leisten kann und werde. Bis es soweit ist, mache ich das Beste daraus jetzt und hier: Ich greife zu Drogeriemarktprodukten und entspanne meine mittleren, oberen und total tiefen Hautschichten beim Yoga. Hilft ungemein.
Heute zum Beispiel: Um 12:30 Uhr, wenn gute deutsche Mütter ihren Kindern gesunde Mahlzeiten zubereiten, lag ich auf der Yogamatte in einer Stellung namens Krokodil und stöhnte selig vor mich hin. Ich hatte kein schlechtes Gewissen. Mein Kind war versorgt. Ich konnte mich völlig auf den Moment auf dieser Matte einlassen und loslassen. Das ist schwer. Vor allem wenn man so gefordert ist wie ich oder Mutterseelesonnig. Loslassen, obwohl man die ganze Zeit wie eine Irre die Fäden, das Schulheft, den Spaghetti-Topf, das Telefon, die Kühlschrank-oder Autotür, die Verantwortung für alles in der Hand und noch das Kind auf dem Arm und bei Laune hält, weil sonst keiner da ist den man ganz selbstverständlich bitten kann: Übernimm du, ich kann nicht mehr – wie soll das einfach gehen? Und es sagt leider auch niemand zu dir: Mach mal Pause Schatz.
Selbstfürsorge oder 70% sind die wahren 150% Baby:
Auf mich selbst gut zu achten ist das Schwierigste und Wichtigste was ich in den letzten Jahren gelernt habe. And I learned it the hard way meine Lieben! Die Erkenntnis, dass ich nicht alleine durch alles muss, selbst wenn ich alleine mit meinem Kind bin, hat mich befreit. Und das ich nicht alles alleine schaffen kann manchmal (bestes Beispiel dieses Foto von mir im See, auf den Stamm wäre ich nie alleine hoch gekommen. René Löffler hat mich rauf gebrüllt äh motiviert).
Ich kann ein Stück weit steuern oder zulassen, ob ich alleine bin, weil der “klassische” Partner fehlt. Alleinerziehend heisst nicht unbedingt alleine sein. Wenn ich mich von der Idee verabschiede, dass eine Familie aus Vater, Mutter, Kindern besteht, ist sehr viel möglich.
Und noch etwas begreife ich jetzt: Ich bin keine Belastung für andere, das ist nur mein Alltag. Viele Jahre dachte ich das. Völlig verrückt ich weiß, war aber so. Das hielt mich von vielem fern.
Und ich muss nicht immer 150 % geben um genug zu sein. Das geht auch gar nicht. LEBEN WAS IST, ohne hohe Energieverluste, ist eine große Leistung. Das klingt nach einem sehr einfachen Prinzip, das Platz hat auf einem Yogiteebeutelanhänger, doch das ist eine hohe Kunst, an der viele Menschen scheitern. Ich auch. Manchmal schaffe ich es aber ganz gut.
Yoga und was dich sonst hält – über Wasser und am Leben:
Gestern beim Yoga z.B. lag ich auf der Matte, ich versuchte wie verrückt mich zu entspannen. Meine Nackenmuskulatur war bretthart, sie hielt mich davon ab, dort hinzukommen wo ich hin musste. Meine Lehrerin sagte just in diesem Moment: “70 % sind genug beim Ying. Lieber weniger, die Entspannung kommt über die Passivität”.
Ich gab die Anstrengung auf, ich versuchte damit klarzukommen wo ich gerade war, zu fühlen was klemmte, mich darauf einzulassen, dass gerade nichts geht – und siehe da: Ich sank mit meinem Brustkorb gefühlt einen Kilometer weit hinunter Richtung Kniescheiben. Zwischen meinen Schulterplatten machte es leise plöpp, etwas fieses Mieses, was in den Faszien feststeckte, bekam offenbar wieder Luft und ich gute Laune. Blieb so. Und das Beste: Ich kam auch wieder hoch von den Knien.
Am Ende der Stunde lagen wir regungslos auf den Matten in der sogenannten Leichenstellung. Enstspannungsphase war angesagt. Ich weiß noch, wie schwer mir das gefallen ist am Anfang meines Yogalebens. Einfach nur liegen und nichts tun. Die Gedanken zuzulassen ohne festzuhalten. Diese Stille. Oder manchmal Musik – war auch nicht besser. Ich wollte aufstehen und aus dem Fenster brüllen: YOGA IST IRRE! Tja. Wie wahr.
Und diesen Mittag ging es sogar in die nächst höhere Wahnsinns-Stufe: Yoga Nidra – der Schlaf der Yogis, das hatte ich noch nie probiert. Es ist eine geführte Meditation. Wie Urlaub, nur spazierst du statt am Strand entlang durch deinen Körper.
Danach stand ich vorm Spiegel und bändigte meinen in der Tiefenentspannung völlig aus der Form geratenen Pferdeschwanz. Ich blickte freudig überrascht in das Gesicht einer 25 Jähriger Interrailerin. Ich hatte völlig entspannte Gesichtszüge und rosige Wangen. Rein theoretisch hätte meine Mutter denken können, ich hätte die Mittagszeit für ganz andere Sachen genutzt, als ich in diesem Hautzustand nach Hause kam.
Egal Hauptsache mir geht es gut. Ich muss mit mir leben und klarkommen jeden verdammten schönen Tag. Den wünsche ich Euch. Namasté
Ein völlig im positiven Sinne wahnsinniger Mann namens Oscar Wilde hat mal gesagt: “Sich selbst zu lieben, ist der Beginn einer lebenslangen Romanze” – lasse ich jetzt mal so stehen, als Botschaft aus dem virtuellen Dorf.
PS: Bitte versucht mal Yin Yoga – nicht für mich den Fast Guru mit den Linien auf der Stirn in der Gemeinschaftshütte – aber für Euch und Eure Haut. MACHT ES!
Adressen und tolle Menschen für Ying Yoga und Yoga Nidra (gerne ergänzen)
Berlin:
- Katrin Knauth, gibt einmal im Monat einen Workshop, der zurecht immer sehr schnell ausgebucht ist, unterrichtet auch jeden Freitag eine Klasse im Yogacircle – mehr hier.
- Isabella Paulsen, unterrichtet jeden Mittwoch eine Klasse unweit des Epi-Zentrums des Mütter-Wahnsinns am Kollwitzplatz – zur Website hier entlang
- Sascha Skott, unterrichtet in meiner Homebase dem Yogatribe Berlin immer Mittwoch Abend eine Yin Yoga Klasse – alles weitere hier.
- Verena Antonia, unterrichtet ab Wintersemester einen Yin Yoga Kurs an der TU – Hochschulsport ist übrigens eine günstige Alternative zum Yogastudio, auch Externe können dort Kurse belegen, allerdings haben Studenten und Mitarbeiter Vorrang.
- Yoga Nidra gibt es z.B. Donnerstags um 20:15 Uhr im Yogatribe Berlin
Stuttgart:
- Melanie Haumann, unterrichtet u.a. im Yoga LOFT – Details auf ihrer Website
Hier noch ein Link zu einem Artikel über Yin Yoga
Schlafende Hunde: Yin Yoga und was Dich in stressigen Phasen schützt
Vivian Mary Pudelko
4. Januar 2018 — 21:32
Danke für Deinen offenen, berührenden Artikel. Ja, savasana, die Leichenhaltung gilt als eine der schwierigsten Haltungen im Yoga. ☺ Ich bin Yogalehrerin und Musiktherapeutin und habe mich auf die Selbstfürsorge im Alltag spezialisiert. Herzlich willkommen zu meinem Blog auf selbstfuersorge.at