Am Sonntag waren meine Muskeln und ich drei Stunden total aktiv. Ich verspüre immer noch leichten Muskelkater. Vor allem heute früh, als ich zum wiederholten Male zu Fuß in den 4. Stock eines Wilmersdorfers Gründerzeithauses gehen musste (weil der Aufzug schon ewig kaputt ist, aber gut ich bin ja nur einmal in der Woche hier). Ausdauersport am frühen Morgen war und ist einfach nicht mein Ding. Das möchte ich bei dieser Gelegenheit auch meinem ehemaligen Turnlehrer alias der bärtige Schleifer mitteilen. Wo habe ich mir also am schönen Sonntag einen Muskelkater geholt? Bin ich den Marathon mitgelaufen? Nein!

Ich war bei meinem ersten Yoga Workshop. Bislang hab ich das vermieden, denn ich hatte Bammel, ob ich das überhaupt schaffen kann – drei Stunden Yoga am Stück (siehe oben – ich, der Bärtige und die Ausdauer). Meine Befürchtungen waren allerdings völlig unbegründet: Ich hielt gut durch. Der Muskelkater ist auch nicht schlimm. Es ist nur ein leichtes Ziehen im Bauch, so eins dass dir zeigt dass Du zumindest noch Bauchmuskeln hast. Und ich nahm noch etwas mit nach Hause, das zumindest bis heute nachwirkt: Eine kleine feine Erleuchtung.

Das Thema des Workshops war “live your passion”. Drei Stunden Yoga sollten mir dabei helfen, zu entdecken für was ich eigentlich brenne – und wie ich meine Leidenschaft besser leben kann im Alltag. Seien wir mal ehrlich: Leidenschaft im Alltag ist für die meisten von uns nicht besonders oft drin. Wenn ich zum Beispiel genau jetzt an feurige Leidenschaft denke, fällt mir spontan der Backofen ein, den ich eben eine halbe Stunde mit hochrotem Kopf gereinigt habe. Ganz viel Passion sage ich euch! Aber ich will mich nicht beklagen: Im Hintergrund lief das Violinkonzert von Philipp Glass und ich bin jetzt total motiviert, diesen Post fertig zu schreiben:

Zu Beginn des Workshops sprachen wir kurz über die Beweggründe. Jede von uns hatte eigene ganz persönliche Gründe mitzumachen: Spektakuläre oder unspektakuläre – whatever. Bei einem Statement musste ich etwas schlucken. Eine Frau zählte sehr viele Dinge auf um die ich sie beneidete und sagte: “Das kann doch nicht alles sein im Leben”. Ich wollte ihr gern zurufen: “DOCH!”. Natürlich habe ich das nicht laut gesagt. Ich habe den Gedanken durch mein Nasenloch sanft in Ihre Richtung geschnaubt und gehofft, dass sie in den nächsten drei Stunden irgendwie von selbst drauf kommt. Dazu gab es jedenfalls reichlich Gelegenheit: Zum Beispiel beim Atmen. Die Atemübungen waren für mich persönlich das Highlight des ganzen Workshops. Im normalen Yogaunterricht kommt das leider meistens zu kurz. Dabei ist das Atmen so wichtig – auf der Matte und im Leben.

In Madhavis Workshop hatte ich zum Glück ganz viel Zeit zum Atmen. Nach drei Stunden intensiver Praxis (inklusive halb geglückter Taube = Wahnsinn), saß ich wunderbar entspannt auf meiner Matte. Madhavi hat in jedem Fall eine 1 a Doppelbegabung. Sie kann super schreiben und unterrichten! Zum Abschluss gab es sogar noch etwas mit auf den Weg. Auf die Frage, was für sie der Sinn des Lebens sei, sagte Madhavi: “Der Sinn des Lebens ist für mich ganz einfach der Alltag – das Leben selbst”. Wie einfach und wahr: Das Leben im Jetzt annehmen und gestalten zu können – das überhaupt ist schon ein wertvolles Geschenk.

Leider fällt uns das meistens erst auf, wenn wir es nicht mehr können. Wir sind unzufrieden mit dem was wir haben oder mit dem was wir sind. Wir suchen den Sinn des Lebens, ohne zu klären was überhaupt wertvoll für uns ist. Wir verpassen darüber das Leben, das wir schon haben. Wir leben im aber, wenn, hätte und vielleicht statt jetzt! Warum tun wir uns das an? Weil es manchmal sehr viel Mut braucht hinzusehen. Wir lenken uns lieber ab durch Aktivität. Wir erkennen auf diese Weise nicht, was für uns zählt oder wer wir wirklich sind. Natürlich ist das alles einfacher geschrieben oder gesagt als getan: Noch dazu leben wir nicht im Yoga-Retreat, sondern in Berlin. Wir haben Kinder, bekommen die ersten grauen Haare und müssen Geld verdienen. Vielleicht haben wir kürzlich zähneknirschend ein Haus gekauft, dass wir gar nicht wollten oder vor Jahren einen Mann geheiratet, der so sexy ist wie ein USM Haller REGAL. Aber immerhin ist es ein USM Haller Regal und es steht in Deinem eigenen Haus. Es könnte schlimmer kommen! Glaub mir. Und wenn es Dich so nervt dieses sperrige, kalte Ding, warum schiebst Du es nicht vor die Tür? Du hast Angst was dann mit dem leeren Platz passiert? Du könntest mit Deinen Kindern im Wohnzimmer toben? Oder tanzen? Oder Du stellst sonst was an? Irgendwas was Du gerne tust! Du weisst nicht was das sein könnte? Ok:

  1. Was hast Du gern gemacht als Du 21 warst?
  2. Was würdest Du gerade jetzt gern tun?
  3. Warum ein USM Haller Regal?

Das sind drei Fragen, die Du Dir stellen kannst, bevor Du Dein ganzes Leben in Frage stellst und entwertest.

Ich jedenfalls habe mir im Laufe des Workshops einige Fragen gestellt und dabei folgende wertvolle Erkenntnis gewonnen:

Meine Leidenschaft ist nicht der Backofen, sondern das Schreiben. Ich kann vielleicht nie von meiner Leidenschaft leben. Ich werde niemals beim Suhrkamp Verlag landen. Aber egal – es ist eine positive Veränderung und Bereicherung, diesen Blog zu schreiben. Ich will dran bleiben und Ausdauer haben – auch wenn ich davon vielleicht Muskelkater bekomme. Und noch etwas habe ich festgestellt: Dass sehr viele Menschen bei denen sehr viel in Ordnung ist eigentlich total unzufrieden sind. Jeden verdammten Tag! Jeden!

Aber halt: Bevor jetzt viele panisch ihren Rucksack fester schnallen, aufbrechen und ganz viele Brücken abbrechen, gibts erst Mal drei Sätze Wegzehrung für zwischendurch vom Nicht Guru:

  1. Du wirst nie zufrieden sein, wenn Du im Kern unzufrieden bist mit Dir selbst (mit nichts – nicht mal mit Brad Pitt oder einer Privatinsel in der Karibik oder mit Brad Pitt auf der Privatinsel)
  2. Das Leben passiert einfach, im Guten wie im Schlechten, sei offen dafür (am Tag als die Hammer-GASAG Jahresabrechnung in meinem Briefkasten lag, hab ich einen um 70 % reduzierten Max Mara Wintermantel gefunden)
  3. Tue was Du liebst, so oft es geht und leidenschaftlich (außer vielleicht mitten in der Tram hingebungsvoll in der Nase bohren)

Vielleicht erstmal kurz rasten, und sacken lassen bevor es losgeht?