In den letzten zwei Wochen habe ich wenig geschrieben, ich weiß (ich hatte noch nicht mal Zeit für Yoga). Ich groove mich gerade ein in einen neuen Lebensabschnitt. Nach 14 Tagen auf diversen Radwegen Berlins bin ich jetzt wieder angekommen in der Rushhour des Lebens. Die ersten Tage waren echt hart. Ich war fast ein Jahr raus aus dem Fahrradberufsverkehr. Ich hatte vergessen, was sich da morgens alles abspielt: Spirituelle und menschliche Herausforderungen wohin man blickt bzw. fährt. Inzwischen bin ich mittendrin statt nur dabei. Om. Ich bin einigermaßen im Flow! Ich habe einen festen Rhythmus -und treffe nun auf dem Radweg regelmäßig auf die gleichen Menschen. Über manche Begegnungen freue ich mich (einen Mann erkenne ich schon von hinten in meinem Ohr summt dann diese Melodie!). Grundsätzlich ist alles gut: Ich bewege mich und komme dabei fremden Menschen für eine gewisse Zeit sehr nah. Im letzten Jahr war das ähnlich: Meine Mitmenschen rückten mir allerdings nicht auf dem Rad, sondern im Yogastudio uff die Pelle. Auch schön. Leider stelle ich fest: Ich bin sowohl auf der Matte als auch auf dem Radweg ähnlich genervt von gewissen Personen. Oh Gott! Ich dachte ich bin spirituell gewachsen in diesem Jahr? Am Wochenende passierte es dann: Mein altes und mein neues Leben kreuzten sich auf wundersame Weise.
Ich traf im Yogastudio auf eine Frau, die mich all morgendlich auf dem Radweg fast ins Nirvana rammt. Sie hatte keine Ahnung wer ich war. Ich erkannte sie aber sofort: Im Yogastudio breitete sie zur Begrüßung erst mal Ihre Matte über mir aus. Ich war nach 26 Sekunden kurz davor straffällig zu werden. Ich erschrak über mich selbst. Es gibt ja diese Theorie, dass einem bei anderen immer das am meisten stört, was bei einem selbst verkümmert ist. Den Rest der Stunde grübelte ich darüber nach was es sein könnte – und schielte ab und an zu ihr rüber. Sie lächelte die ganze Zeit und schwebte mühelos von Asana zu Asana, dabei rammte sie ihre Ellenbogen in Richtung Nachbarmatte. “Die schwitzt noch nicht mal verdammt”, dachte ich, “die kann einfach alles”.
Während ich wie immer in der Taube kollabierte, reckte sie den schlanken Hals und schlug grazil mit den Armen. Zu viel für mich! Ich gab auf. Ich ließ die verdammte Taube und diese Frau einfach los. Ich kuschelte mich in die Kinderposition: Ich ließ beide über mich hinweg fliegen. Tschüss. Das war die richtige Entscheidung, nachdem ich mich auf mich selbst konzentriert hatte, flutschte es. Nach der Yogastunde fuhr ich gut gedehnt und innerlich grinsend nach Hause. Ich überlegte auf dem Heimweg was für Herausforderungen sich bislang im Yogastudio so neben mich gelegt haben – und ob sie mir in den letzten 2 Wochen auch auf dem Radweg begegnet sind. Als ich in meinen Hinterhof einbog, hatte ich eine schöne Aufstellung im Kopf, die ich jetzt mit Euch teile.
Meine Top 5 der menschlichen Herausforderungen auf dem Radweg und der Matte, und mit welchen Yoga-Übungen du und ich an ihnen wachsen, statt verzweifeln:
1.) Die Super-Mama fährt ein handgeklöppeltes Manufakturrad. Auf dem Kopf trägt sie einen schicken Helm, der aussieht wie ein Vintage-Hut. Schlechtes Wetter oder schlechte Laune kennt sie nicht: Ihre Schutzkleidung sind ein Lächeln und ein geerbter Jil Sander Mantel. Jeden Morgen rast sie knapp unterhalb der Verkehrsregelgrenze an dir vorbei. Sie schafft mühelos die Ampel an der Mega-Kreuzung, während du in letzter Sekunde auf dem Radweg panisch bremst. Die Super-Mama hat stets das perfekte Outfit und Timing: Sie fährt lässig bei Dunkelgelb drüber. Mit wehendem Mantel radelt sie in Richtung Regierungsviertel, dabei geht sie im Kopf noch einmal den ganzen Tag durch: Einkaufslisten, Projektlisten, die Bulletpoints für Ihr aktuelles Buch. Das stemmt sie nämlich auch noch nebenbei. Das Buch ist ein hipper Karriereführer für berufstätige Mütter. Eigentlich hätte sie viel lieber ein Buch geschrieben über Ihre Erlebnisse als Entwicklungshelferin bei einem vom Matriarchat dominierten indigenen Volksstamm in der äußeren Mongolei. Aber das verkauft sich nicht, sagt ihr Lektor – es sei denn es kommt mindestens eine bisexuelle Liebesgeschichte drin vor. Die gab es aber nicht in der äußeren Mongolei (natürlich!). Schade, lügen kann sie nämlich nicht. Das ist das einzige was sie nicht kann. Sonst schafft sie alles: Im Yogastudio fegt die Super-Mama drei Minuten vor Start herein. Sie hasst es, zu spät zu kommen, deswegen breitet sie die Matte schon mal auf dir statt neben dir aus. Sie entschuldigt sich natürlich sofort bei dir – selbstverständlich! Dabei sieht sie noch wunderbar ausgeruht aus: Du verspannst spontan vor Ehrfurcht und Scham im Schulter-Nacken-Bereich. Das Gefühl der Anspannung lässt nicht nach, denn die Super-Mama riecht auch noch total gut und schwitzt nie (nichtmal beim Bikram Yoga!). Sie schafft jede Pose mühelos und auf Anhieb, während du neben ihr keuchend in der Taube kollabierst. Da hilft nur (siehe oben) die Ansprüche los lassen: sofortiger Rückzug in die Stellung des Kindes (Balsana) weil: Du musst nicht perfekt sein!
2.) Der Renn-Art-Director. Er presst sich mit seiner Röhrenhose jeden Morgen kurz vor knapp aerodynamisch auf sein federleichtes italienisches Alurad. Er hat viel Drive und so wenig Zeit, dass er dir fast auf das Hinterrad auffährt. Wenn du dich irgendwann genervt umsiehst, lächelt er unschuldig. Er wirft dir diesen Hundewelpen-Blick zu, und steckt seinen neonfarbenen Kopfhörer verschämt fester auf die Ohren. Wenn er wirklich mal auf dein Hinterrad auffährt, murmelt er lächelnd eine Entschuldigung (Mega-Hundewelpen-Blick). Er schaut schuldbewusst herab auf seine Sneaker, die mit der Rahmenfarbe und den Kopfhörern farblich vortrefflich harmonieren. Der Mann ist ein Styling-Gesamtkunstwerk, stellst du neidlos fest – und schämst dich für deinen frühkindlichen Zorn und Dein schlampiges Outfit. An jeder weiteren Ampel blickst du dich von nun an unauffällig um. Wie macht er das nur? Der ist super angezogen, obwohl er wahrscheinlich nur 15 Minuten für alles hatte! Wahnsinn! Und diese Wimpern? Ist das Mascara? Wo ist eigentlich meine Mascara? Am Abend triffst du ihn in der DJ Urban X meets Yoga Flow Klasse in irgendeiner angesagten Location in die du dich verirrt hast. Deine Freundin hat davon geschwärmt, und du willst endlich wieder so cool sein wie sie – jetzt liegst du zwischen sehr jungen Leuten, und willst mit der Matte im Erdboden versinken. Der Renn-Art-Director ist auch da. Er kommt zu spät, brüllt sorry in die Runde. Ausgerechnet neben mir ist noch Platz, denkst du panisch und fühlst dich wie ein Yoga-Aschenputtel. Und es kommt noch schlimmer: Der Renn-Art-Director touchiert mit seinen total Hornhaut freien Füßen Dein Häufchen an Habseligkeiten, das du verschämt an die Wand geschoben hast. WTF? Ich bin auch noch da, denkst: Du bist stinksauer? Aha: Dir fehlt Aufmerksamkeit! Die solltest du dringend auf dich selbst richten. Du verwandelst dich genau jetzt und von nun an öfter in eine schillernde Kobra (das geht mit oder ohne Mascara): Bhujangasana!
3.) Das Alphatier kommt am Montagmorgen Schlamm verspritzt mit einem 45-Gang Mountainbike aus dem Berliner Umland. Er hat das Wochenende auf seinem Landsitz verbracht und u.a. eine Natursteinmauer mit bloßen Händen errichtet. Er ist auf dem Weg zu seiner Wohnung in Mitte, wo er kurz duschen wird. Dort schlüpft er aus der Gore Tex Leggins mit Gesäß-Polsterung in einen Maßanzug. Bei der ersten Begegnung stöhnt er hinter dir, weil du nicht schnell genug Platz machst für ihn auf dem Radweg. Du weichst aus, schaust ihm entgeistert nach, und erschrickst als er einen Fußgänger, der sich mit einer halben Fußspitze auf den Radweg verirrt hat, fast überfährt. Dabei brüllt er laut: “Mann, Mann, Mann”. Bei der zweiten Begegnung bist du vorbereitet: Du ahnst schon, wenn er von hinten heran schießt. Dein Nacken vibriert! Eigentlich weißt du gar nicht wie das Alphaltier aussieht, denn dazu ist er zu schnell unterwegs. In der Yogastunde erkennst du ihn an seinem Wahnsinns-Wadenmuskel und dem Stöhnen. Er federt neben dir dynamisch in den Handstand oder versucht sich am Skorpion. Er lässt dich ganz schön alt aussehen, obwohl er wahrscheinlich älter ist als dein Vater. Das Alphatier ist total konzentriert und muss sich bewegen. Er will die größtmögliche Entspannung in der ihm zur Verfügung stehenden Zeit erreichen. Und: Er möchte keine Störungen, sondern Leistung! Rückfragen bei der Lehrerin hält er für ein Zeichen von Schwäche und Zeitverschwendung. Wenn ihm etwas unklar ist, lässt er seine Assistentin nach einem Youtube Video googlen. Er ist total durchtrainiert und zeigt dir, dass es festes Bindegewebe, Erfolg und eiserne Entschlossenheit auch jenseits der 40 geben kann. Zipperlein hat er nicht und kriegt er nicht. Er guckt total entsetzt, wenn du am Anfang der Stunden naiv aber ehrlich berichtest, was für körperliche Einschränkungen du gerade hast von denen man unbedingt als Lehrer wissen sollte. Du fühlst dich plötzlich ganz schwach. Da hilft nur: Sich besinnen auf das was du kannst. Du kannst dich stark fühlen ohne dich zu überfordern – lass dich nicht einschüchtern: Urdhva hastana (Bergstellung mit den Händen nach Oben).
4.) Die Gazelle. Sie fährt ein Vintage Hollandrad, dass sie 2008 auf einem Flohmarkt in Südfrankreich erstanden hat. Es erinnert sie an die unbeschwerten Sommerferien ihrer Kindheit. Ihre Eltern haben nämlich ein Weingut im Hinterland von Nizza geerbt. Sie hat mal Philosophie, Germanistik und Mediavistik studiert. Die Gazelle war immer die best angezogene Frau im Magisterstudiengang. Sie hat ihr Hobby zum Beruf gemacht und kann gut davon leben. Das Leben meint es gut mit ihr, sie ist ein Blogger-Star! Heute morgen zum Beispiel trägt sie einen mitternachtsblauen Egg-Shape Mantel, das Geschenk eines Jungdesigners, dessen Namen sie schon wieder vergessen hat. Ihr üppiges rehbraunes Haar hat sie zu einem Knödel gezwirbelt. Es glänzt im Sonnenlicht. Die Gazelle ist eigentlich gar nicht da auf dem Radweg, sondern in einer Telko mit einer Modeagentur. Sie fährt ganz langsam, weil sie gerade total kreativ sein und gleichzeitig ihre Termine koordinieren muß. Du hörst unfreiwillig aber sehr interessiert das ganze Gespräch mit und denkst: “Wahnsinn was diese Mädels alles erleben”. Ihr Mantel bläht sich leider im Gegenwind auf Beduinenzelt-Größe auf, deswegen kannst du sie nicht überholen. Beim Mittagsyoga triffst du sie wieder. Sie legt sich lässig in einem steingrauen Stella Mc Cartney Vintage Yoga Outfit auf die Matte neben dir. Du fühlst sich plötzlich steinalt. Sie spürt es und macht dir ein Kompliment. Du bist verunsichert und überlegst, ob du deine Graffiti-Print-Hose nicht besser dringend gegen so eine Puristen Hose tauschen solltest. Du weißt leider, dass das niemals so an dir aussehen würde, und verwirfst die Idee gleich wieder. Die Gazelle fast sich derweil lächelnd in den Haarknödel. Sie schüttelt dir ihre glänzende Haarpracht und Jugend entgegen. Du liegst auf der Matte und denkst: “Ich will auch solche Haare verdammt”. Du nimmst all deinen Mut zusammen und fragst: “Was ist das denn was du benutzt?” Sie antwortet: “Weiss ich gar nicht genau entweder Aesop, Aveda oder Ren? Ich hab soviel von dem Zeug.” Du wirst rot im Gesicht, weil Du weißt, was eine Aveda Haarkur kostet. Du fühlst dich haarmäßig und auch sonst gedisst und entwickelst Spontan-Spliss. Da hilft nur innere Stabilität finden, sich erden, um zu neuem Selbstbewusstsein zu wachsen: Vrksasana (Baum).
5.) Rock & holy Hipster. Steht Freitag morgens verschlafen in der Torstrasse an der Ampel im Weg. Er sitzt mit verstrubbeltem Haar auf einem alten Klapprad und träumt vor sich hin. Du wolltest eigentlich noch über die Ampel, aber die springt jetzt auf Rot. Er taumelte wahrscheinlich 5 Minuten vorher aus einer Bar (in der Hand hat er immer noch ein handcrafted Bier). Während Du verschämt den Thermo-Kaffeebecher versteckst, überlegst du, wann du zuletzt bei Tageslicht, und vom Feiern zersaust nach Hause gekommen bist. Es fällt dir nicht ein??? War es in diesem Jahr?? Letztes Jahr?? Überhaupt jemals? Oh Gott! Du fühlst dich plötzlich sterblich und langweilig. Du überlegst ob Babysitter über Nacht bleiben und was das im schlimmsten Fall kosten könnte. Dann wird es grün. Der rock & holy Hipster fährt los, und bremst gleich wieder ab. Er lacht laut: “What the fuck”. Von links kommt ein Sattelschlepper auf dich und ihn zu. Aber es geht nicht vorwärts, weil er nämlich einen alten Kumpel getroffen hat mitten auf der Kreuzung: “Alter was machst Du hier!” Du ziehst links vorbei und hoffst einfach mal, dass beide überleben. Du triffst ihn Wochen später beim Yoga: Du sitzt entspannt auf der Matte. Du wartest darauf, dass es gleich losgeht. Es sind heute nur wahnsinnig gutriechende freundliche stille Menschen um Dich herum. Deine Lieblingslehrerin wird unterrichten. Grossartig alles fließt – keiner stört. Plötzlich geht die Tür auf. Der Mann neben Dir schnellt von der Matte und brüllt: “Awesome Alter Du hier”. Er sagt: “Kannst Du mal bitte Platz machen für meinen Kumpel?” Den Rest der Stunde erfährst Du alles über angesagte Clubs, hippe Burger und Wahnsinns-Retreats wo man total gut abhängen kann. Da hilft nur zurück brüllen, statt schlucken: Du lässt es raus und zeigst den Jungs die Löwin: Simhasana! Und schon ist wieder alles ruhig und im Fluß!
Petral
29. September 2015 — 1:55
Hey du,
ich bin gerade auf deinen tollen Blog gestossen und komme jetzt öfter vorbei. Liebe Grüße, Petra von Papier und Tintenwelten für Klein und Gross
PS: Wenn du nur etwas für die Erwachsenen suchst schau mal Hier
Notyetaguru
29. September 2015 — 9:46
Liebe Petra vielen Dank und viele Grüße