Vorgestern wusste ich wieder, was ich der Stopp Mediation nach Osho, zu verdanken habe. Ich wäre fast aus der Bluse geplatzt. Spirituelle Insider seufzen jetzt mitfühlend: “Osho ist eigentlich Baghwan Schatz“.
Ja ich weiß, wo Licht ist, ist auch Schatten meine sehr verehrten Damen (und Herren). Das Leben und die Menschen sind komplex: Kann eine einzelne Mutter im Universum überhaupt etwas ausrichten und guten Gewissens Leben in die Welt setzen, das wächst und ganz oft Schuhe braucht? Ich lege mich zur Beantwortung solch existenzieller Fragen, und Kleinhalten meiner noch niedlichen Neurosen ab und zu auf die Couch. (Wer jetzt “Oh Gott auch noch Therapie” seufzt, braucht übrigens auch janz dringend Hilfe).
Wo war ich? Ah ja: Komplexe: Es gibt ganz viele – und sie machen so viel mit uns und kaputt. Zum Beispiel der Minderwertigkeitskomplex – dieses Gefühl nie genug zu sein oder zu machen. Ganz heikel – vor allem, wenn du Donald Trump bist oder irgendwann Mutter in Deutschland wirst, und nicht bis zum Auszug deines Kindes zuhause bleiben willst, sondern zurück in deinen Beruf.
Dann fängt der Ärger an: Es wird kompliziert, denn du vergleichst dich gern mit Hilfe von Bezugsgrößen, die außerhalb der von Weltraumsonden und arbeitenden Müttern erreichbaren Sonnensysteme liegen. Diese sind:
Ich bin von nun an 24 h am Tag verfügbar und funktioniere wie ein Schweizer Uhrwerk.
Ein Kind darf nicht von nicht blutsverwandten Menschen betreut werden, bevor es das 3. Lebensjahr vollendet hat, weil sonst ist es bindungsgestört.
Meine Bastelarbeiten müssen auf der Art Basel Spitzenpreise erzielen.
Alle Faschingskostüme werden selbst genäht, statt gekauft, auch der Stegosaurus und das Star Wars Kostüm.
Ich werde im nächsten Frühling Löwenzahnkimchi zubereiten, daraus ein florierendes Start-up machen, das meinem Kind das Studium in Oxford ermöglicht und mir ein Natursteinhaus in den Pyrenäen (französische Seite).
Das sind ganz Planeten schwere Brocken für die Durchschnitts-Mutti.
Mütter oder Mea Culpa im Clubhaus:
Ich habe das auch alles nicht geschafft, oder gekonnt – und was noch schlimmer ist: es insgeheim geahnt und mich trotzdem vermehrt! Tja. Mea Mutter culpa – andererseits: Es wäre doch schade, wenn meine Wahnsinns-Erbanlagen verloren gingen.
Das bringt mich zum anderen Extrem vom Minderwertigkeitskomplex: der Mutti-Größenwahn. Dieses Gefühl, alles richtig zu machen, zu wissen und allein wuppen zu können. Der ist bei mir leider unterentwickelt. Und noch etwas fehlt Müttern in Deutschland: Solidarität.
Mutter sein bedeutet lebenslange Mitgliedschaft im exklusiven Club ohne nennenswerten Vorteil: Kein kuscheliges Clubhaus, kein am Platz Service, keine Rabatte, keine erstklassigen Verbindungen, die dich nach oben bringen. Aber wenigstens weiß man wohin man gehört und hält zusammen – also rein theoretisch schon:
Wenn ich mich so umschaue, stelle ich fest: Kinder trennen und nerven in dieser Gesellschaft eher, als dass sie freuen und verbinden. Die Mütter, die sie geboren haben; die Paare, die sie gezeugt haben; die Menschen, die sich um sie kümmern, die mit ihnen leben, die sie ziemlich lange unterrichten?
Kinder: ein Quell des Glücks, ein Kitt der die Gesellschaft und Generationen zusammen hält?
Manchmal verfolge ich Diskussionen bei Facebook und denke: Was mich mit anderen Müttern hier in Deutschland verbindet ist allein das Joch, das sich mit Beginn der Elternzeit schmeichelnd um unseren Nacken gelegt hat. Warum lassen sich aufgeklärte, kluge Frauen dann darauf freiwillig ein? Ist das eine Verschwörung? Tja:
Erstmal fühlt es sich gut an, wie ein handgestrickter Kaschmirschal, man erlebt z.B. nie gekannte Glücksmomente, wenn man sein Kind zum ersten Mal im Arm hält. Dann hast du Milcheinschuss, musst mit dem Dammriss aufs Klo, oder wartest 6 Monate auf den Elterngeldbescheid.
Nach spätestens 12 Monaten, back to job fühlt sich Kinderhaben oft an wie Polyacryl. Nein? Du hast immer noch Kaschmir um den faltenlosen Hals, denn du bleibst daheim, weil dein Mann macht das möglich? Oder du bist der Merino-Typ: kommst du mit allem klar – findest es streckenweise gar nicht schlimm? Shame on you. Wasch das sofort bei 90 GRAD!
Du kannst und sollst es immer nur falsch machen, und schwer haben als Mutter. Im Ernst:
Warum ist Kinder haben in Deutschland so unlustig, kompliziert und fühlt sich oft komisch an?
Lacht keiner richtig drüber?
Ist alles so ernst und freudlos?
Liegt das wirklich nur an den Rahmenbedingungen, die hier herrschen (und über die ich hier oft genug wettere) oder sind wir einfach zu doof, um glücklich und zufrieden zu sein?.
Dieses Kritteln und sich und alles in Frage stellen, statt einfach mal was zu wagen und zu ändern, ist das typisch deutsch?
Oder dieses Mißtrauen gegenüber Methoden, Erfahrungen oder Ideen?
Lebst du schon oder diskutierst du noch?
Ständig zieht irgendeiner eine Statistik aus der Schublade, und sagt dir, was alles nicht geht, läuft, oder für alle gut sein muss. Diskussion überall: Wöchnerinnenstation, Kinderarztpraxis, PeKip-Gruppe, Spielplatz, Biomarkt, BVG, Kitagarderobe, Schulhof, Elternabend, Facebook, Twitter, Talkshows, Bundestagskantine, Balkon der parlamentarischen Gesellschaft (ganz aktuell).
Nur wirklich ändern tut sich nichts, und wenn du offen sagst:
„Entschuldigung das ist nicht ok, was hier läuft und nicht gerecht, wir müssen etwas ändern“ – brüllen ganz viele Menschen und sogar andere Mütter: „Was das alles kostet, mir geht es schlechter, früher war es noch schlimmer, dann bekomm doch keine Kinder, überleg dir das vorher, bleib halt daheim, diese Emanzen immer, die Väter haben es auch schwer und der Klassiker: DAS ARME KIND!
Alter ist das krass Mama, würde mein Nachwuchs sagen und mißbilligend die Augenbraue hochziehen. Bis der mal tatkräftig das Familienministerium rund machen kann, vergeht noch sehr viel Zeit (ehrlich gesagt: im Familienministerium hat man kein Geld für große Würfe, dann lieber Finanzminister, und wenn ich noch lebe bis dahin, übernehme ich das Familienministerium). Vor der Bundestagswahl hab ich mal wütend geschrieben: Deutschland ist ein familienpolitisches Schwellenland. Und nun?
Das schwedische Modell: Bullerbü ist nicht?
Ich blicke in Sachen Familienpolitik gern immer hoffnungsvoll in den Norden – nach Skandinavien. Da läuft es ja seit vielen Jahren besser.
Das ist – habe ich gestern gelernt – falsch. Sogar das fröhliche Familien-Musterland, das uns funktionale Regalklassiker und die praktische Elternzeit beschert hat, tickt im Grunde nicht richtig?
Die Schweden sind total unglücklich: Pippi Langstrumpf und Michel aus Lönneberga werden mit einem Jahr abgeschoben in die Kita, und die Mütter leiden unter ihrer Vollzeit-Berufstätigkeit.
Das muss ich unbedingt meinen netten schwedischen Nachbarn erzählen, die kürzlich wieder zurück in die Heimat gezogen sind, weil die Mutter nach 6 Monaten back to job in Deutschland, völlig fertig war.
“I love Berlin you know, but as a working mum it is hard” sagte sie traurig beim Abschied an der Haustür. Ich tätschelte ihr tröstend den Ärmel vom COS-Kaschmirpulli und sagte: “You don’t need to apologize, I mean it is Sweden, be happy instead” War das gemein von mir? Ich schäme mich, auch dafür, dass ich dachte: „Du kannst vielleicht umziehen, aber dieser Pulli bleibt hier“. Morgen schreibe ich ihr eine Entschuldigungskarte.
Wieso strahlen schwedische Familien und Kinder denn so? War Pippi Langstrumpf ein Fake? Und was ist mit der Königsfamilie? Die wuppen doch auch Kind und Fulltimejob, vermehren sich fröhlich – und die Frauen haben so wahnsinnig gute Haut. Ist das bloß Photoshop, Schwedens Familienpolitik gar eine Farce? Keine Ahnung, während ich das schreibe, wappne ich mich schon für kritische Stimmen, die mir Links zu schwedischen Insider-Studien in die Kommentare hämmern.
In der Tat ist nicht alles Bullerbü in Schweden, z.B. ist es schade, dass Kitaplätze nur voll bezahlt, und gewährt werden vom Staat, wenn die Mütter Vollzeit arbeiten gehen, und schwedische Männer nicht selbstverständlich genauso viel Elternzeit nehmen wie die Frauen. Die guten Sachen kann man allerdings kopieren: zum Beispiel das Recht von Müttern auf Rückkehr zur Vollzeit! Die flexiblere Elternzeit, die man tageweise nehmen kann – und nicht nur im Block! Ist doch nicht alles schlecht automatisch? Und Skandinavien besteht ja nicht nur aus Schweden:
Norwegen: Das familienpolitische Paradiesgärtlein mit Fjord?
Mein Sehnsuchtsort. Immer wenn ich nicht schlafen kann, träume ich von einem mit Fußbodenheizung ausgestatteten Haus am Fjord, dem erhöhten Kindergeld für Alleinerziehende (und einem wettergegerbten Aussteiger, der manchmal ausgenommene und geschuppte Lachse bei mir vorbeibringt und Klavier spielen kann).
Norwegen gilt als eines der glücklichsten und kinderfreundlichsten Länder. Familienzeit ist trotz allem beruflichen Ehrgeiz ganz ganz wichtig. Familienzeit bedeutet nicht, dass man viel Zeit zusammen hat, sondern wie man Zeit miteinander verbringt. Und: Erziehung- und Sorge ist nicht nur Frauensache. Der norwegische Staat tut also ganz viel für Frauen mit Kindern.
Zum Beispiel nehmen Behörden den Nachwuchs beim ersten Piep in Obhut und aus den Familien, hab ich kürzlich dank eines Kommentars bei Facebook gelernt. Da gibt es eine Reportage in der Arte Mediathek. Das hat wohl eigentlich damit zu tun, dass Gewalt in der Erziehung absolut verboten ist in Norwegen, und beim ersten Anzeichen die zuständigen Behörden aktiv werden. Es ist schlimm, wenn Kinder wegen falscher Verdächtigungen aus ihrer Umgebung gerissen werden. Im letzten Jahr um diese Zeit wurde ich mitten auf dem Alexanderplatz Zeugin, wie eine Mutter ihrem ca. 10 jährigen Sohn auf offener Straße hart ins Gesicht schlug. Es war ganz offensichtlich, dass das nicht zum ersten Mal passierte. Der junge Polizist, den ich daraufhin ansprach, sagte zu mir: “Ach so nur eine Ohrfeige” und weigerte sich etwas zu unternehmen. Dann lieber hinsehen sorry. Ich schweife auch schon wieder ab.
Ich freue mich, dass Mütter zuhause bleiben können in Norwegen, und die Kinder selbst betreuen, wenn sie das wollen. Im Gegensatz zu Schweden: Sie bekommen dafür Erziehungsgeld, Alleinerziehende mehr Kindergeld und Zuschüsse – und Mütter insgesamt mehr Rentenpunkte. Man kann Kinder auch besser von der Steuer absetzen als Autos. Alles natürlich nur wenn man mitspielt und nicht auffällig wird oder grob. Soweit der Deal zwischen Staat und Individuum. Klingt ja nicht schlecht.
Aber wenn ich an den Fjord ziehe, mich der wettergegerbte Aussteiger tatsächlich besucht und irgendwann bei den Behörden falsch beschuldigt, weil ich plötzlich keinen Lachs mehr will? Tja, sitze ich in der Scheiße und mein Kind im Heim? Ein Dilemma. Wie man es macht, ist es verkehrt.
In Norwegen ist es auch verdammt kalt, hat jemand kürzlich mitleidlos unter einen hoffnungsvollen Beitrag auf meiner Facebookseite kommentiert.
Sollte ich nicht lieber gleich nach Dänemark ziehen?
Solidarität und Smörrebröd: Mutti sein in Dänemark
Da ist es wärmer, die sind im Glücks-Ranking ebenfalls weit vorne, es gibt dort eine Königsfamilie und wahnsinnig schöne Möbel. Alle dänischen Frauen, die ich kenne, wirken jedenfalls satt und zufrieden – und sind solidarisch. Altenpflege zum Beispiel keine gewinnbringende Dienstleistung, sondern Staatsangelegenheit und die Vereinbarkeit flutscht. Die Dänen müssen für diesen “Luxus” viele Steuern zahlen, meinte kürzlich ein kinderloser Mann mitleidlos zu mir.
Da ist es wieder das familienpolitische Haar in der Suppe, das Sandkorn im Handlungsgetriebe? Von dem Zusammengehörigkeitsgefühl können wir uns jedenfalls eine Scheibe abschneiden: „Wenn die Dänen auf etwas stolz sind, dann selten auf die eigene Leistung, sondern auf ihre gemeinsame“. Ein Bürgerparadies? Fast: In Dänemark hat die rechte Volkspartei das Sagen. Warum? Hat angeblich vor allem damit zu tun, dass die versprochen haben, das Sozialsystem, das zur dänischen Identität gehört, nicht weiter zu beschneiden. In den Jahren zuvor ist das passiert, der dänische Staat musste sparen. Das mochten die Menschen in Dänemark nicht.
Was ist mit Finnland? Oh Gott! Der Text ist schon wieder so lang. Natürlich läuft es dort ebenfalls besser für Mütter, und dieses Schulsystem: Wahnsinn – selbst der Precht würde seine Kinder da hinschicken. Und nun zum finnischen Haar bzw. Häkchen: es schneit quasi durch, und die meisten Finnen gucken wirklich so depressiv wie die Figuren in den Kaurismäki-Filmen. Die Finnen, die ich kenne, sind trotzdem alle gut druff, die tanzen allerdings Tango. Dann doch Norwegen?
Ich spare ab sofort das Geld, dass ich als Mutter nicht habe, für mein Holzhaus am Fjord, bloggen kann ich überall, und Kälte sind wir Mütter in Deutschland ja eigentlich gewohnt. „Soziale Kälte hilft nicht gegen Erderwärmung“ hat meine Freundin Fee kürzlich geschrieben. Wie wahr.
Kommentare von Notyetaguru
Ein Wochenende in Worten:
Danke Falk!
Ein Wochenende in Worten:
Bitte meine Liebe und ich danke für Deine Worte!
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Welche Ehre vielen Dank!
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