Es gibt ja immer wieder diese heißen Diskussionen in der Presse oder in den Sozialen Medien, deren Kommentarspalten so emphatisch sind wie der hungrige Seeleopard, wenn er die fetten Kaiserpinguine über sich sieht. Darin empören sich sehr gerne Menschen, die mit Kindern arbeiten darüber, was sie alles auffangen müssen in ihrer Arbeitszeit, weil die Eltern ihrer Meinung nach total versagen. “Erzieht endlich eure Kinder” kommt dann. Ich rege mich ja über sowas nicht mehr so richtig auf. Mit Scheitern kenne ich ich nämlich aus. Und das ist total toll für meine mütterliche Entwicklung:
Als mein Kind noch kleiner war, und ich beruflich voll im Saft stand, hätte ich betroffen bei Erziehungsgurus Rat gesucht, weil ich mich als hart arbeitende, alleinerziehende Mutter nicht nur immer grundsätzlich zuständig fühlte, sondern auch für alles schuldig.
Erziehung – rein theoretisch kinderleicht:
Kommt wohl ein bisschen davon, dass es sehr viele Menschen gibt, die denken wenn irgendwas nicht so läuft bzw. das Kind nicht die Erwartungen erfüllt, oder den Ansprüchen unserer Leistungsgesellschaft entspricht – Anpassung bzw. Funktionieren aber flott – dann hat das immer nur was mit dem privaten Umfeld zu tun. Nun ja. Ich gebe zu, dass ich nicht als perfekte Vollblutmutter auf die Welt gekommen, als mein Sohn durch mich zufällig in dieses Land geboren wurde.
Jesper Juul sagt, dass es 1 – 2 Kinder dauert bis man es so richtig drauf hat als Mutter, das ist ja tröstlich – in meinem Fall aber doppelt doof, denn ich bin Erstgeborene = meine Mutter hat an mir geübt, und mein Kind ist Einzelkind. Mit Blick auf die immer geringer werdenden Ausgaben für Menstruationsartikel fürchte ich bleibt das so. Trotzdem bin ich Mutter, Scheiße aber auch.
Die Zeit läuft so oder so, ich hab laut Erziehungsgurus nur noch 3 Jahre bevor ich ihn für immer an sein Zimmer bzw. die Pubertät verliere, und er mehr Kontakt mit dem Kühlschrank hat, als mit seiner stets bemühten Mutter. Ausziehen will er trotzdem nie, hat er mir gestern versichert, er liebt mich auch wenn ich ihm die Cola verbiete. Ich habe versagt. Ich schweife wieder ab.
Minenfeld Kindererziehung – Wunsch und Wirklichkeit:
Zurück zum Minenfeld “Kindererziehung”: Also ich kann verstehen, dass man nicht mit jedem Kind auskommt. Ich hab da auch so meine Probleme, aber ich muss das nicht unbedingt. Ich muss nur mit einem klarkommen: Meinem. Ich stelle mir aber die Frage, wie das so ist bei Menschen, die beruflich mit Kindern zu tun haben.
Also ich meine die haben ja nicht wirklich eine Wahl, oder? Und weiß man das nicht bevor man den Beruf ergriffen hat, dass man sehr viel Zeit mit vielen verschiedenen Kindern anderer Menschen verbringt? Man geht ja auch nicht zum Kampfmittelräumdienst, ohne mal zu googeln was das ist?
Sind unsere Kinder wirklich schlimmer als früher? Ich weiß nicht, ich glaube eher, dass alles anders ist als früher, und wir damit schleunigst besser klarkommen müssen.
Wo Kinder heute sind und ihre Eltern:
Es ist doch so: Unsere Kinder verbringen viel mehr Zeit außerhalb des Elternhauses als früher, und das heißt in der Regel nicht: Morgens Schule und dann am Mittag nach der gemeinsamen ausgedehnten Mahlzeit auf Bäume klettern. Erziehungszeit ist mittlerweile Arbeitszeit durch Familien-Zeit. Ist so. Eltern arbeiten. Schule geht bis weit in den Nachmittag. Und Hausaufgaben müssen viele Kinder noch täglich machen, und am Wochenende lernen. Was heißt Erziehung denn netto für mich als Mutter? Muss ich jetzt zuhause bleiben? Nicht unbedingt, vor allem bei einem Schulkind hieße dass ziemlich lange warten, und ich muss und will arbeiten.
Sollten jetzt alle arbeitenden Eltern kollektiv im Wohnwagen durch Europa reisen, und ihr Kind selbst unterrichten? Also naja Europa hat ja schon genug Probleme mit Migration. Ich könnte mir den Wohnwagen, den ich bräuchte, um keine Platzangst zu bekommen sowieso nicht leisten. Ich hatte im Toilettenwagen von Madonna schon Schnappatmung, und der war echt kein Dixi-Klo.
Ich muss das auch nicht, mein Kind ist gut aufgehoben. Aber was ist mit den anderen? Und die armen Erzieher und Lehrer? Was wird denn aus denen verdammt? Vielleicht ist es an der Zeit grundsätzlich umzudenken:
Erziehung kann man nicht auf einen einzigen Ort oder Raum, z.B. das Elternhaus beschränken, ob man will oder eben nicht, das ist nicht sinnvoll und zeitgemäß. Für niemanden. Der gute alte Spruch: Um ein Kind zu erziehen braucht es ein Dorf, hat immer noch und gerade jetzt und hier mehr denn je Gültigkeit.
Ein Beispiel:
Erkenntnisse in der Tram: Erziehungsbooster Nahverkehr
Jeden Morgen begleite ich meinen Sohn zur Schule. Wir fahren meistens mit der gleichen Bahn, 3 Stationen bevor wir aussteigen müssen, steigt immer eine Gruppe sehr lauter Erwachsener ein: 3 Frauen und 1 – 2 Männer. Sie haben Kaffeebecher und sehr laute Stimmen.
Es sind Menschen, die eine Ausbildung zum Erzieher/in machen. Sie unterhalten sich immer über die gleichen Dinge: Eltern und Kinder. Und das nicht gerade positiv, manchmal erlaube ich deswegen leicht panisch meinem Kind eine Runde Mixel Rush zu spielen, damit er bloß nicht alles mitbekommt, was da vorne gesprochen wird. Muss ja meiner Erziehungspflicht irgendwie nachkommen. Dann ziehen ganz frische Mütter oft die Augenbraue hoch. Verstehe ich, hätte ich genauso gemacht früher. Ich saß immer in der Tram und dachte: So nicht oder oh Gott, ich niemals! Tja. Egal:
Das Gespräch, das ich meinem Kind vorenthalten will, ist entwertend, es wird sich lustig gemacht über Unsicherheiten oder Verhaltensweisen. Warum wollen diese großen Menschen mit kleinen Menschen arbeiten, und dem was das mit sich bringt? Zum Beispiel Eltern?
Was Erzieher/innen, Lehrer/innen und Eltern gemeinsam haben:
Das wird jetzt keine Abrechnung mit Erzieher/innen. Ich kenne viele und ich schätze was gute Pädagogen leisten für die Entwicklung von Kindern. Aber das erste Problem ist, nicht jeder der Erzieher/in wird oder Lehrer/in ist dafür geboren, zweitens wird keiner in seiner Ausbildung gut darauf vorbereitet was ihn im Alltag erwartet. Das haben wir Eltern übrigens mit diesen Berufsgruppen gemeinsam.
Und dann gibt es diese eine Sache, die ich als unfreiwilliger Personalvorstand im Kindergarten gelernt habe: Die pädagogische Arbeit mit Kindern erfordert wahnsinnig viel Aufmerksamkeit, das schlaucht. Ich glaube nicht, dass man Vollzeit als Erzieher/in arbeiten kann (40 h) oder als Lehrer/in an einer Regelschule, da ist der Burn-Out oder die innere Kündigung vorprogrammiert, doch wie soll man von einem halben Gehalt leben zum Beispiel in Berlin? Dieses Dilemma kennen einige Eltern, ich sage nur #regrettingmotherhood oder #Vereinbarkeit
Uns trennt also gar nicht so viel. Und wir haben eines gemeinsam: Die Kinder.
Was Kinder dringend brauchen:
Unsere Kinder verbringen heutzutage viel mehr Zeit in pädagogischen Einrichtungen als früher. Das ist eine Tatsache mit der wir leben und umgehen müssen und zwar so, dass es für alle Beteiligten zu einem positiven Ergebnis führt. Ich sehe deswegen die Forderung, Betreuung oder Ganztagsschulen per se kostenfrei anzubieten kritisch. Wie soll das gute Qualität ermöglichen? Ich glaube viele Eltern wissen gar nicht, was als Betreuungsschlüssel angesehen wird und vom Staat bezahlt wird. Ich musste da spontan zum Rotwein greifen, als ich damals die nackten Zahlen meines Vorstandsvorgängers präsentiert bekam. Schon ernüchternd. Ich sehe seitdem klar, und das sowieso eher so:
Es ist eine gesellschaftliche Gesamtaufgabe Kinder zu erziehen und eine Chance, dass zeigen die aktuellen Wahlergebnisse deutlich. Wir können nicht nicht erziehen in den Schulen oder Kitas, oder eben in der Tram. Warum auch? Erziehung ist Beziehungsarbeit. Wir alle sind Bezugspersonen, und Vorbilder in Verantwortungs- und Respektlosigkeit, oder eben mangelnder Empathie, sogar die kinderlosen großen und kleinen Menschen sind das.
Wenn man sich dessen bewusst ist, oder sich das bewusst macht, erleichtert es den Umgang miteinander sehr: Erziehung ist: Leben – zusammen in Respekt und Vielfalt.
PS: Ich erinnere mich übrigens aufgrund dieses Artikels an den einzigen Erziehungsratgeber, der bei uns zuhause im Regal stand, flankiert von Hermann Hesse und Johannes Mario Simmel, der war dunkelgrün und auf dem stand “Dürfen Kinder alles?”, Autor habe ich verdrängt. Ich hab da mit meinen Buntstiften ganz zauberhafte Illustrationen ergänzt. Ich fand übrigens das meine Mutter sehr komisch wurde, wenn sie darin mal geblättert hatte.
E.
1. Januar 2018 — 15:37
ein sehr schöner Beitrag! danke dafür.
Herzliche Grüße.
E.
Diana
4. März 2018 — 12:16
Respekt ist für mich überhaupt das Wort im Umgang miteinander. Etwas Ähnliches wie dir mit den Erzieherinnen in Ausbildung ist mir bei einem Krankenhausaufenthalt mit Pflege-Azubis passiert. Sie hatten einen Platz wieder herzurichten nach Entlassung. Dabei unterhielten sie sich- es waren noch Patienten im Raum – und es wurde deutlich, dass sie den Beruf mehr „aus der Not heraus“ (keine bessere Idee gehabt, werden ja gebraucht…) gewählt haben. Da habe ich mich schon gefragt, ob sie für diesen wichtigen und wertvollen (leider nicht entsprechend anerkannten) Beruf geeignet sind. In meinem Bekanntenkreis kenne ich Pflegekräfte, welche mit strahlenden Augen (trotz der Rahmenbedingungen) und voll Respekt für die Menschen von ihrer Arbeit erzählen. Ich bin schon der Meinung, wenn man einen Beruf wählt, in dem man es hauptsächlich mit Menschen zu tun hat, gehört eine gehörige Portion Respekt und Achtung vor meinem Gegenüber dazu.