Früher war für mich alles kein Problem. Ich konnte sehr viel gleichzeitig machen oder hintereinander weg: Arbeiten zum Beispiel. Ich gab immer mein Bestes – bis zum Anschlag. SELBSTVERSTÄNDLICH! Alles gar kein Problem Schnuckis!
Sogar das Klarkommen mit Sachen nach denen nix ist wie vorher, wenn sie passieren, schaffte ich schon als Kind klaglos. Geht vorbei. Kopf hoch, weiter. Es ist gar nichts passiert. Nicht schlimm und bloß nicht weinen! Oh Gott.
Mir hat irgendwann sehr wenig ausgemacht: Ignorieren was ist, weitermachen und alles wird gut irgendwie. Das hilft und gehört sich so – nahm ich lange Zeit an und hielt mich darin fest – das ist aber keine besonders erfolgreiche Strategie, um durchs Leben zu gehen. Das musste ich schmerzlich lernen.
Ich wusste nämlich irgendwann gar nicht mehr, was alles für mich eigentlich ein Problem war oder ist, weil ich ja “offiziell” seit ich klein bin gar keine mehr habe. Das ist leider kein Wahnsinn sondern sehr verbreitet.
Alles normal und in Ordnung mit mir, uns. Immer. Oft. Meistens. Vor allem in unserer Gesellschaft: Hier ist made in Germany. Jeder quadratisch, praktisch, gut wie Rittersport Schokolade, wenn einer bricht, dann so, dass man ihn mühelos wieder zusammensetzten kann und in die Verpackung zurückschieben. Und bitte diskret: Merkt auf den ersten Blick dann keiner, dass es weniger solide, stabil oder leicht beschädigt ist. Das schöne Papier, die eckige Form = das perfekte Quadrat – das alles hält uns zusammen – und wenn nicht klemmt man sich klaglos zwischen andere Tafeln und hält still. So geht das. Wir haben dieses Land aus Trümmern erschaffen, schnell, effizient und belastbar. Funktioniert gut und schon so lange. Warum sollten wir etwas ändern oder uns?
In meiner Generation und Familie aß man ja sehr gerne Rittersport Schokolade – ich sehr gerne Nougat, die dunkelblaue Tafel, aber hier im herrlich irren Berlin, im Jahre 2017, mitten unter jungen dynamischen Hipstern? Die sind doch alle so bewusst und vegan? Geht das denn noch?
Es hat sich viel geändert, aber der Umgang mit uns, unseren Grenzen und unseren Problemen ist nach wie vor schwierig. In Berlin geht nämlich leider auch alles. Immer schon – vor allem seit die Mauer endlich weg ist. Grenzenlosigkeit 4.0. Ritter Sport hat hier übrigens inzwischen einen Flagshipstore.
Und ich und du so? Geht es uns gut? Spontan möchte ich auf diese Frage folgenden Satz schreiben oder flöten: Ja natürlich immer, es muss – alles kein Problem. Ist schon ok.
Ich kann gar nicht anders. Das sind Glaubenssätze und Muster, die wir in unserer Kindheit öfter hören als wir Schokolade essen können oder dürfen. Unsere Eltern hörten diesen Satz auch schon.
Ich hatte in den letzten Jahren ja sehr viel Zeit zum Denken, Fühlen und zur Ruhe Kommen, deswegen nehme ich mir jetzt die Zeit und heraus, diese vermeintlich praktische Annahme “Alles kein Problem” mit Gegenfragen zu beantworten:
- Ist es das?
- War wirklich immer alles kein Problem?
Das gibt es doch gar nicht. Eben. Und das ist nicht gut.
Es gibt Dinge, die nicht gehen, weil sie unsere Bedürnisse nicht erfüllen oder weh tun. Das ist normal und in der Tat alles kein Problem.
Am Wochenende war ich beim Tango. Rein theoretisch hätte ich dreimal 12 Stunden lang tanzen können. Das kann ich aber nicht, ich kann nicht so lange durchtanzen, und das will ich auch gar nicht, weil ich will gar nicht mit jedem tanzen. Alles kein Problem – und gut: Ich kann mir aussuchen mit wem ich tanze oder nicht. Es gibt nämlich Grenzen – die gehören zu mir, zum anderen und zum Leben. Das ist gar nicht so schlimm und kompliziert wie es sich anhört, es ist sogar sehr praktisch. Denn dadurch kann ich definieren was gut und schlecht für mich ist. Ich kann mich fühlen. Ich kann mich wahrnehmen. Ich kann sogar über meine Grenzen gehen, bzw. sie ausloten und verschieben. Ist das ein Problem? NEIN!
Am Wochenende hatte ich einen Tanzpartner, der andere Grenzen hatte als ich – und kein Empfinden für meine. Früher hätte ich das vielleicht gar nicht gemerkt. Es wäre mir höchstens aufgefallen, dass ich mich nicht so gut fühle mit ihm. Ich wäre sauer gewesen, vielleicht wütend.
Wahrscheinlich hätte ich das Gefühl unterdrückt, ich hätte so getan als sei es nicht da, weitergetanzt bzw. bis zum Ende durchgehalten. Das tue ich nicht mehr. Ich nehme viel mehr wahr was ist und was eben nicht geht. Meine persönlichen Grenzen. Schränkt mich das nicht wahnsinnig ein? Nein das Verrückte ist, es macht mich freier. Es erlaubt mir zu sagen: NEIN.
Das Recht hat jeder Mensch, nicht nur beim Tanzen. Wahrnehmen was ist ist alles außer ein Problem. Traut Euch. Es wird vielleicht weh tun, es wird jemand anderen enttäuschen, wenn er nicht das bekommt, was er will oder braucht, aber das ist seine Baustelle! Das muss er aushalten und du auch.
Aber ansonsten ist das ALLES aber KEIN PROBLEM.
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