Neulich habe ich einen Kommentar unter einen Artikel gesetzt: Nach meiner ersten und einzigen Mutter-Kind-Kur wollte ich mich eigentlich unfrankiert in den Briefkasten, des für mich zuständigen Jugendamts legen – und schlafen, einfach nur schlafen.
Ja ich schrieb dies im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte, rein theoretisch bin ich dazu durch die Kurmaßnahme in der Lage. Und das obwohl sie schon 8 Jahre zurückliegt. Rein praktisch funktionierte das mit mir und der Kur schon von Anfang an nicht. Wir waren nicht füreinander bestimmt.
Der Antrag: ja ich will – die Krankenkasse nicht?
Das hatte vielleicht auch mit meinem alleinerziehenden Allgemeinzustand zu tun: Gehirnmasse und Energiereserven waren auf die Größe zweier TK Erbsen geschrumpft. Ich war rund um die Uhr im Einsatz. Mein Kind litt an Neurodermitis und Allergien. Ich wog 58 kg bei einer Größe von 1,78 m. Mein Nachwuchs hingegen sah bis auf die Haut blendend aus: kugelrund und fröhlich. Sein Lächeln war das Einzige was mich damals aufrecht hielt. Aber wie lange sollte das noch gutgehen? Ich recherchierte Mutter und Erschöpfung im Netz, und fand ganz schnell eine Lösung. Wer wenn nicht ich war prädestiniert für eine Mutter-Kind-Kur. Rein theoretisch jedenfalls.
Ich erhielt nämlich eine Ablehnung von der Krankenkasse. Inzwischen bin ich acht Jahre klüger und habe im Netz über dieses Thema recherchiert. Anscheinend war/ist das gängige Praxis. Es gibt einen Bericht vom Bundesrechnungshof zu diesem Thema aus dem ich hier zitiere:
Die Verwaltungspraxis der Krankenkassen bei der Bearbeitung der Anträge von Mutter-/Vater-Kind-Kuren ist intransparent und genügt nicht den sozialverfahrensrechtlichen Anforderungen. (…)
Ich fuhr noch erschöpfter durch den Briefwechsel mit einem unwilligen Sachbearbeiter mit meinem 9 Monate alten Baby ans andere Ende der Republik.
Die Kur: Wurst Case Scenarios in Franken
Drei Wochen bleib ich in dieser Einrichtung, und bereute schon bald, dass ich diesen Kur-Antrag gestellt hatte. Hier hörte ich nämlich zum ersten Mal das Reizwort “Betreuungsschlüssel”. Ich konnte fast keine Therapiemöglichkeiten nutzen, weil die Kinderbetreuung nicht funktionierte. Ich versuchte, mein Kind mehr zu integrieren, das war allerdings schwierig: ins Solebad zu steigen, mit einem Baby dessen Haut völlig aufgekratzt ist, ist zum Beispiel nicht möglich.
Der Kontakt zu anderen Frauen fiel mir schwer, und war mir in meinem Erschöpfungszustand auch zu viel. Ich wollte einfach schlafen und essen und ausruhen und wieder alles von vorne. Und vielleicht mit jemanden sprechen, der einen Doktortitel hat, Mensch geblieben ist und mit sonorer Stimme sagt:
Es ist alles schlimm ja aber es wird alles gut.
So etwas sagte leider niemand. Viele Mütter waren bereits zum 3. Mal hier. Sie erzählten ungefragt freundlich unglaublich traurige Geschichten über sich und ihre Kinder – ihre Blicke waren dabei so stumpf wie die Oberflächen der Tabletts auf die wir lustlos unser Essen stapelten. Nach zwei Tagen war meine Stimmung noch weiter unten: ich vergaß, dass ich Vegetarierin bin, und griff fahrig zu fränkischer Wurst.
Therapiemöglichkeiten: die nackte Wahrheit über Kneipp
In Woche zwei habe ich mein Tablett einfach mit ins Zimmer genommen. Die Aussicht auf all diese Probleme, die ich vielleicht auch mal habe, hielt ich nicht aus. Ständig dachte ich: “das bin ich in acht Jahren nur ohne Acrylnägel”. Ein paar nette Frauen gab es schon, aber ich war zu erschöpft, um etwas mit ihnen zu unternehmen.
Ich aß fränkische Wurst, und versuchte, meine Fluchtgedanken mit Kamillentee wegzuspülen. Wenigstens bis zu meinem Gespräch mit der Psychologin wollte ich warten. Verheissungsvoll stand auf der Website unter der Überschrift Psychosoziale Therapie:
“Stärken Sie Ihr Selbstbewusstsein und verändern Sie Ihr Auftreten. Haben Sie Spaß und Freude mit ihren Kindern und erleben Sie eine intensive Bindung”.
Bindung hatte ich ja mehr als genug – vielleicht könnte ich mich hier endlich mal hinlegen? Eine Couch gab es in dem Sprechzimmer leider nicht, und gerade als ich richtig in Fahrt kam, sagte jemand, der nicht klang, als glaube er an irgendein Happy End in der Welt:
Wir müssen zum Ende kommen, suchen sie sich zuhause einen Psychiater und lassen sie sich etwas schönes verschreiben.
Dong. Ich erhob mich empört vom Stuhl.
Wenn alles zu viel ist: Hilfe suchen und Isolation entgegenwirken
Lief ja prima meine Gesundheitsmaßnahme. Wahrscheinlich erlebe ich die Einschulung meines Kindes – wenn überhaupt – unter dem Einfluß verschreibungspflichtiger Drogen?
Ich aß ja auch schon manisch Wurst, obwohl ich nicht will. Am nächsten Tag geschah ein Wunder: die Kinderbetreuung funktionierte. Beim kollektiven Wasserschlauchwackeln in einem dunklen Kellerraum (alias Kneipptherapie), erfuhr ich, dass die Empfehlung mit den Pillen fester Bestandteil des Beratungsgespräch war. In etwa wie: Alles Gute für Sie. Ich war nicht bekloppt, nur im falschen Film.
Ich ertränkte meine Zweifel in eiskaltem Wasser, und versuchte zu ignorieren, dass die Fugen der Fliesen wahrscheinlich in meinem Geburtsjahr zum letzten Mal richtig geputzt wurden.
Die anderen Mütter waren eigentlich ganz ok, und lebten auch seit Jahren mit dieser Erschöpfung. Ich musste mich einfach nur zusammenreißen und durchhalten so wie alle Mütter vor mir. Ich war jetzt ja eine von ihnen! Deswegen bekam ich wie alle anderen zwei Tage später einen fiesen Magen Darm Virus, der im Haus “umging”. Ich lag mit Fieber, Brechreiz und Baby im Bett. Gerade als ich von einer Kinderfrau in gestärkter Schürze träumte, die mir lächelnd mein Baby abnahm, klopfte es leider.
Mütter und die totale Erschöpfung: Du bist nicht allein
Zwei Frauen, die mich länger nicht gesehen hatten, standen vor der Tür. Ich war zu schwach, um aufzustehen. Sie kamen zum Glück trotzdem rein. Ich wurde am gleichen Tag in ein Krankenhaus eingeliefert. Und das war gut so: Diese vier Tage im Krankenhaus waren meine Mutter-Kind-Kur. Ich lag im Bett, es war ruhig, ich musste nirgendwohin.
Es zählte nur eines: AUSRUHEN. Ab und zu kam eine freundliche Krankenschwester und fragte, ob es ok wäre, wenn sie mir mein Kind abnimmt. Es war fast wie in meinem Fiebertraum. Mein Baby wurde als Stationsmaskottchen überall herumgetragen, und fühlte sich total wohl. Ich schlief sechs Stunden am Stück mal vier Tage, zum ersten Mal war ich in der Lage wieder einigermaßen klar zu denken. So einfach war das eigentlich.
Der Stationsarzt sprach mit mir über meine Situation, er empfahl mir ganz dringend Unterstützung zu suchen und Hilfe anzunehmen. Von Pillen hat er nichts gesagt. Ich hab auch keine Zwangsjacke mitbekommen. Mir fehlte ja nix außer Schlaf.
Zurück in Berlin dauerte es sehr sehr lange bis ich diesen rezeptfreien Ratschlag: Hilfe und Unterstützung – umsetzen konnte.
Aus der Kur nahm ich immerhin die Idee mit, das mein Leben mit Kind total schön sein könnte, wenn ich zwischendurch ausruhen kann. Und die Erinnerung an unfassbar tapfere Frauen, die versuchen klarzukommen mit dem was das Leben ihnen aufs Tablett gelegt hat.
Und an die Acrylnägel denke ich – natürlich auch ab und zu (und an die Wurst).
Die Mutter-Kind-Kur: Was sich ändern muss
Eine Mutter-Kind-Kur war einfach nicht das Richtige in meiner Situation. Für die meisten Alleinerziehenden ist sie das nicht. Und für nicht alleinerziehende Mütter ist sie das oft auch nicht. Wenn man Pech hat (und das haben anscheinend ziemlich viele) läuft es eher so:
- das Kind reagiert sehr schlecht auf die Fremdbetreuung
- die Therapiemaßnahmen vor Ort entsprechen nicht den Anforderungen oder der Wahrheit
- das Personal ist selber reif für eine Kur
- ein Magen-Darm-Virus wird dein Kurschatten
- der Psychologe braucht nicht nur eine Couch
Natürlich kann man auch Glück haben. Aber was bleibt von drei Wochen seelischer Glückseligkeit und frischer Energie? Nur wenige Frauen schaffen es einen positiven Impuls mitzunehmen, und in ihren Alltag zu integrieren. Yoga, Meditation und Kneippgüsse vor, während oder nachdem man Kind, Haushalt und Beruf stemmt, sind mehr gute Vorsätze als nachhaltige Wirklichkeit.
Dazu fehlen vor allem Alleinerziehenden zwei entscheidende Faktoren: Zeit und Geld. Für viele von uns ist das Höchste der Entspannung: wenigstens alleine einkaufen zu können.
Ich habe für diesen Artikel im Internet recherchiert, wie lange eine Maßnahme nachwirkt, und was Krankenkassen für eine Mutter-Kind-Kur ausgeben. Leider habe ich keine Daten gefunden. Aber einen sehr interessanten Bericht des Bundesrechnungshofes über die Mutter-Kind-Kur aus dem Jahr 2011.
Deutschland im Jahre Null nach dem Mütter Burn-Out
Die dort aufgeführten Fallbeispiele machen mich wütend. In sachlichem Beamtendeutsch steht dort in welchen prekären Lebens- und Gesundheitszuständen (dazu gehört für mich auch die seelische Gesundheit) Mütter sind und waren. Wie soll sich das in drei Wochen ändern und vor allem: warum kann das in unserer Gesellschaft so weit kommen?
Können wir uns das leisten? NEIN!
Für mich ist die Mutter-Kind-Kur ein behäbiges teures Fossil aus der Wirtschaftswunderzeit. Diese Art von Mutti-Wartung ist einfach realitätsfern. Wir brauchen dringend andere Hilfen.
Der Bericht schliesst übrigens mit den Worten:
“Es könnte auch geprüft werden, ob nicht im Anschluss an Mutter-/Vater-Kind- Kuren zwingend weitere Vorsorgemaßnahmen vorgesehen werden sollten. Bisher bilden Mutter-/Vater-Kind-Kuren eine isolierte Einzelmaßnahme, deren Wirkung nach Rückkehr in den Familienalltag rasch aufgebraucht sein kann. (…)”
Ich leg mich jetzt erstmal hin. Ich bin fertig für heute.
In voraussichtlich 15 Minuten träume ich: Nicht von der Kinderkrankenschwester, aber von einem Round Table “Deutschland im Jahre Null nach der Mutter-Kind-Kur – Integrierte Hilfen und wirksame Maßnahmen für alleinerziehende Mütter und Väter”.
Ich wüsste sofort wen ich dazu einladen würde – und ich bin auch dabei als Best-Practice-Beispiel. Die aberwitzigsten Momente einer Erschöpfung.
Ich könnte das sogar organisieren. In mir reift ein kühner Plan. Fieber? Oh Gott? Nein geht gerade nix rum?
Und bis dahin: Soul & Health Safety first liebe Mit-Mütter! Schlaf schlägt Putzen. Immer.
Mom_de_Lux
27. September 2017 — 10:16
Danke !!!! Schrappe selbst seit Monaten wieder hautnah am Abgrund vorbei und kann gar nichr soviel kotzen wie ich wollte ueber die guten – halt nur Lichtjahre von meiner Realitaet entfernten – Ratschlaege. (Wobei, nebenbei bemerkt, ich durchaus weiss wie ich regenerieren koennte. Allein neben VZ & Nebenjob & 2 gleichaltrige Pubertierende muesste ich dafuer mein taegliches Mikro-Pensum an Nachtruhe reduzieren… wahrscheinlich auch bicht im Sinne des Erfinders). Ich habe mehrmals laut gelacht als ich Deinen Text gelesen habe! Wiedererkennungseffekt mit Galgenhumor! Damit habe ich mein Selbstfuersorgepensum fuer heute erfuellt. Danke!
Maria
31. Oktober 2017 — 8:19
Hallo,
Ich habe Grade deinen Blog entdeckt . Gefällt mir sehr gut, muss ich sagen. Genau mein Humor.
Freu mich drauf mehr zu lesen. Während ich dies tue, guckt mein Kind, das aufgrund der wundervollen Zeitumstellung jetzt morgens um 4:00 aufsteht Bücher an.
LG Maria
Uli
29. April 2018 — 10:49
Hallo, ein toller Artikel, der auf jeden Fall zum Nachdenken anregt! Ich habe in meiner MuKi-Kur vor 4 Jahren andere Erfahrungen gemacht. Ich war mit nem3-jährigen in der 33.SSW mit Zwillingen auf Kur. Ich habe bewusst eine Klinik mit Ganztagsbetreuung ausgesucht und habe das seitdem auch allen Mamas geraten. Denn die Kur bringt nichts, wenn ich dann doch nur damit zu tun habe mit meinem Kind zu hantieren, auch wenn man sich nicht um Essen, Haushalt und Beschäftigung kümmern muss. Geblieben ist mir außer der Erinnerung auch nicht viel. Ich würde es aber wieder machen. Bin aber auch der Meinung, dass Hilfe vor Ort viel viel mehr bringt. Wir haben einen tollen Kinderarzt, der uns auf Hilfe vom Jungendamt aufmerksam gemacht hat. Nennt sich Frühe Hilfen. Habe darüber im ersten Jahr bis zum Krippeneintritt der Zwillinge 2mal
Pro Woche 2-3h Hilfe von einer Haushaltshilfe bekommen. Die war Gold wert!!
Das war auf Dauer sicher die bessere Lösung.