Als ich vor vielen Jahren an einem grauen kalten Montagmorgen zum ersten Mal mit der BVG zur Arbeit fuhr, war ich nach wenigen Sekunden bereits bedient. Die berühmte Berliner Herzlichkeit sprang mir wie eine tollwütige Katze ins Gesicht, als sich die Tür des Wagons öffnete. Ein Mann blockierte mit einem schmutzigen Mountainbike den Eingang. Ich streifte trotz aller Vorsicht sein Rad, was er aufrichtig bedauerte:
“Mensch pass doch uff Tussi”.
Irritiert setzte ich mich auf einen freien Klappsitz. Warum der trotz Rushhour frei blieb, bemerkte ich bald: Neben mir saß eine Frau, die nicht sehr nett und sehr laut mit sich selbst sprach. Ich zog trotzdem nicht um, denn weiter hinten schlug eine junge Frau auf den Fahrkartenautomaten ein. Die sind doch alle irre, dachte ich, und träumte mich auf den Rücksitz einer Limousine, die von einem gutriechenden Chauffeur unter 65 gelenkt wurde. An der Zielhaltestelle fasste ich einen Entschluss:
Ich werde hier sowas von durchstarten Karriere technisch, ich werde bald im Phaethon zur Arbeit fahren – und ganz viel Geld verdienen. Ganz viel Geld!
Im Phaethon bin ich einmal gefahren – aber das ist eine andere Geschichte.
Das Benutzen von Öffentlichen Verkehrsmitteln gehört immer noch zu meinem Alltag, allerdings ist es weniger stressig für mich. Ich habe Überlebensstrategien entwickelt – zum Beispiel fahre ich nie ohne eine Flasche Japanisches Heilpflanzenöl in der U8. Kurz vorm Kottbusser Tor tupfe ich mir einen Tropfen unter die Nase und blende mich aus. Und ich selbst habe mich verändert: Berlin und die BVG sind sehr gut geeignet die Resilenzfähigkeit zu schulen – sogar wenn man hochsensibel ist und aus der fernen Provinz zugezogen klappt das. Für schlappe EUR 2,70 im Tarif AB gab es in den letzten 15 Jahren bis zu 2 Stunden Konfrontationstherapie on top.
Resilenztraining im Nahverkehr
Letzte Woche habe ich mich deswegen bedankt bei meinem Leben in Berlin respektive der BVG: Ich bin durch sie auf Resilenzstufe 8 von 10 angenommen. Und das kam so: Mein Sohn und ich standen an einem Viererplatz in der Tram. Ein Herr saß dort allein in trauter Zweisamkeit seiner mitreisenden Tasche. Das ist nicht ungewöhnlich: Viele Menschen in Berlin sind allein und wollen es bleiben – egal wie nah du ihnen kommst. Ich schaute jahrelang flehend auf eigentlich freie Sitze, die aussahen wie die Liegen einer All-Inklusive-Oase irgendwo auf Malle. Alles belegt, obwohl nur einer da. Mittlerweile ist das anders – ich begehre freundlich auf. Halleluja.
So auch an diesem Nachmittag: Von dem Viererplatz waren 3 Sitze durch einen einzelnen Mann belegt: Eine Tasche hatte er neben sich auf den Sitz gelegt, während seine ausgestreckten Beine den Sitz direkt gegenüber von ihm unzugänglich machten. Ich lächelte den Mann an und sagte: “Entschuldigung”. Er drehte sich weg und starrte aus dem Fenster – die Tasche bleib liegen, genau wie die Beine. Mein Kind, das ja in Berlin geboren ist, demonstrierte mir in diesem Moment, dass es in Sachen Resilenzfähigkeit auf den Standortvorteil bauen kann. Es setzte sich tapfer neben den Mann und grüßte: “Hallo”.
Meditation kann die Welt retten
Ich setzte mich auch – und schaute auffordernd erst zu meinem Mitreisenden, dann auf die Tasche. Zart besaitete oder höfliche Menschen sagen so: Es reicht! Wieder keine Reaktion. Die Tasche blieb wo sie war. Mein Sohn versuchte derweil verzweifelt mit einer Pobacke neben die Tasche zu passen. Als er in einer Kurve fast vom Sitz fiel, sagte ich:
“Entschuldigen Sie bitte, aber könnten Sie Ihre Tasche vielleicht woanders hinlegen, mein Kind fällt fast vom Sitz”.
Der Mann drehte sich um, rollte die Augen und murmelte etwas gegen die Scheibe aus der er hinaus starrte. Wahrscheinlich belegte er mich gerade mit einem bösen Fluch. Scheiß Mutti oder so. Schon zuckte ich: Mein inneres Kind war stinksauer. Es brabbelte irgendwas mit Tasche und hauen. “Du gehst schön zum Kinder-Yoga” zischte ich zurück. Bevor mein inneres Kind mit Taschen in der Tram um sich schmiß, warf ich mir selbst ein lautloses entschlossenes Stopp Richtung Zornesfalte.
Wer jetzt denkt, die spinnt doch, dem entgegne ich sanft: Wie auch immer, ich empfehle und praktiziere in solchen Situationen gern die Super-Duper-1-Minute-Stopp-Meditation von Osho, die Madhavi von Kaerlighed mal auf ihrem Blog gepostet hat. Funktioniert! Mein Sohn tätschelte jedenfalls anerkennend meine Hand. Es gibt ja nichts schlimmeres für Kinder, als Eltern, die sich zum Hirschen machen in der Öffentlichkeit. Aus welchem Grund auch immer. Das Universum war auch begeistert von meiner Reaktion: Direkt gegenüber von uns wurde plötzlich ein Doppelsitz frei. Ich klopfte meinem Kind aufs Knie und sagte aufmunternd: “Komm wir ziehen um, da ist mehr Platz und der Mann kann wieder alleine sitze, der ist nicht so gesellig – weißt Du – das ist manchmal so – das hat nichts mit uns zu tun”. Ich bedachte den Mann noch mit einem freundlichen Abschiedssegen “Danke” und setzte mich um.
ana
27. Juni 2017 — 13:43
das heißt übrigens Resilienz mit i but no offence
Notyetaguru
29. Juni 2017 — 18:07
Danke ich schreibe manchmal mitten in der Nacht und da passieren mir solche Klapper – aber gut wenn einer mitliest LG