Als ich vor vielen Jahren mal an einem Märztag in Berlin nichtsahnend durch die Friedrichstrasse ging, wunderte ich mich. Überall standen Menschen mit Eimern voller Blumen rum. Ich beobachtete Jagdszenen.
Im ersten Moment dachte ich, ein Versicherungsunternehmen wirbt auf innovative Art für Frauen-Rechtsschutzversicherungen inklusive Stalker-Option.
An einer Ampel war es dann soweit: Mir wollte endlich mal ein Fremder Blumen schenken. Der Mann war allerdings kein Promoter
Mein Rosenkavalier war ein Mann um die 50, der sehr wahrscheinlich noch bei seinen Eltern lebte. Er stammelte was von “Fröhlichen Frauentag” und hielt mir zitternd eine Rose hin. Seine Augen hinter Goldfischglas dicken Brillengläsern zuckten, und ich hörte in meinem Kopf sofort Handschellen klicken. Ich las zu dieser Zeit sehr gerne skandinavische Krimis, und gerade einen in dem eine Frau von einem Nerd in einem abgelegenen Hof quasi lebendig begraben wurde (wem habe ich den eigentlich ausgeliehen?).
Wenn Dir ein Fremder Blumen schenkt in Ost-Berlin:
Ich lehnte dankend ab, und rannte im Windschatten einer sehr dicken sehr resoluten Frau, die ständig brüllte: “Bleib mir bloß weg mit dem Unkraut” in Richtung Büro. Dort angekommen starrte unsere schicke Empfangsdame fassungslos auf meine leeren Hände und sagte mitfühlend: “Hast du keine Blumen abbekommen? Ist doch Frauentag!” “Nein”, sagte ich und eilte zu meinem Schreibtisch. Ich schaute nicht wie immer zuerst mal, was mein Horoskop für diesen Tag voraussagte, sondern googlte “Frauentag”.
Tief im Westen war die Welt noch in Ordnung:
Das war mein erster Kontakt mit diesem historischen Tag, den wir auch heute wieder begehen – in Berlin und überall. Äh Moment: Da wo ich herkam, und die Frauen in der Regel brav im Einfamilienhaus für Ordnung sorgten, während die Mann die Welt retteten und samstags das Auto wuschen, gab es diesen Tag irgendwie nicht. Da bekamen die Frauen die Blumen, wie es sich gehört, nur am Muttertag.
Ein Tag voller Wertschätzung – Theorie und Praxis:
Ich war also einigermaßen verwirrt an meinem ersten Frauentag in Berlin. Dieses Gefühl hielt sich hartnäckig – bis heute. Jedes Jahr wiederholt sich dieses Schauspiel, aber es ändert sich nix. Wobei: Einmal war ich kurz davor es bis auf den Titel der Bildzeitung zu schaffen. Ein aufstrebender Jungpolitiker stalkte mich und mein Kind mit Blumen.
Es war Wahljahr. Ich war an diesem Tag total fertig, weil mein Kind die ganze Nacht wach war, und ich eine Präsentation fertig schreiben sollte. Mein Kind war gerade eingeschlafen, als er sich heranpirschte. Ich schüttelte den Kopf und zischte NEIN! Er insistierte lächelnd, und hielt mir triumphierend eine garantiert nicht Fairtrade gehandelte Rose unter die Nase (die schon so aussah als ob sie die Nacht in der Blumenvase nicht übersteht). Ich war stocksauer, welche Agentur verantworte denn dieses PR Fiasko? Offenbar wurde meine Expertise immer noch gebraucht! Just in dem Moment fing mein Sohn an zu schreien. Ich erinnerte mich an meine Verantwortung, und ich nahm mir ein Beispiel. Ich brüllte meinen Zorn einfach so raus.
“Sie wollen mir eine Rose schenken. Sie sehen doch, dass ich keine Hand frei hab. Wissen sie eigentlich was wir Frauen leisten? Jeden Tag? Ich sorge für dieses Kind völlig alleine. In der Kita läuft es mit Verlaub Scheiße. Haben sie eine Ahnung was da abgeht? 1 Erzieherin kümmert sich um 8,76 schreiende 2 Jährige. ALLEIN, weil irgendjemand wie Sie das mal ausgerechnet hat? Sind sie alle irre? Die Erzieherinnen sehen aus wie Zombies. Ich soll einfach die Kita wechseln? Haben sie Kinder? Ah nein, schön dachte ich mir.
Ich ackere mich ab für 23 EUR brutto die Stunde. Ich hole ihn aus der Kita jeden Werktag und versuche ihn danach zu beruhigen. Ich habe keine Ahnung, was dort mit ihm passiert.
Wahrscheinlich schreit er durch in den 6 Stunden, die ich ihn dort lassen muss, um zu arbeiten. Ich soll mich mehr ausruhen? Ich habe keinen Tag Pause gehabt seit er auf der Welt ist. Mir hilft niemand. Und mir hilft auch keine Rose! Wissen sie übrigens wo sie sich die hinstecken können?”
So war das damals. Hätte ich eine Hand freigehabt, hätte ich wahrscheinlich irre Sachen mit einer unschuldigen Rose gemacht? Ich wäre berühmt? Der Politiker heute Abgeordneter (und ich seine PR Tante in Teilzeit)? Ich schweife wieder ab: Auch heute werde ich wieder den Trost-Rosen ausweichen. Ich will keine. Ich will einfach, dass dieses ganze Geld, was heute für Blumen rausgehauen wird, besser genutzt wird. Ich meine: Was hat sich denn getan, ausser das wir einmal im Jahr Aufmerksamkeit bekommen. Jeden Tag bringen mehrheitlich die Frauen die Kinder zur Schule, sie holen sie auch wieder ab, sie gehen mit ihnen zum Arzt, sie kaufen ein, etc etc.
Werktags in Deutschland ist jeder Tag Frauentag:
Wo sind denn die Männer? Ich frage das nicht rein theoretisch. Interessiert mich auch rein praktisch. Ich hab ja keinen. Ich kenne das nur so, aber fast alle Frauen, die ich beobachte haben doch einen? An den Elternabenden sehe ich die immer? Aber Werktags sind sie fast nie da. Warum? Weil der Mann Vollzeit arbeitet und das Geld nach Hause bringt? Erziehung und Sorge ist Frauensache? NEIN! Ist es nicht. Ich schaffe das ja auch irgendwie! Beides.
Viele Männer bringen sich auch ein, aber die Mehrheit tut das nicht. Weil es nicht geht? Ach so?
Freunde hier der heiße Tipp: Vielleicht mal am Weltfrauentag statt Rosen: Die Kinder zur Schule bringen, abholen und einkaufen? Kleiner Vorschlag vom stillen fassungslosen männerlosen Beobachtungsposten im Luxus-Problem-Kiez.
Ich schenke heute übrigens meiner Mutter Rosen Ätsch!
Blumen ein gutes Stichwort. Ich muss mich noch nachträglich bedanken: Kurz nach dem Eklat mit dem Jungpolitiker habe ich die Kita gewechselt. Ich schaffte es in eine Elterninitiative.
PS: Ein Freund, der in Berlin lebt und arbeitet meinte: Aber 23 EUR brutto ist doch nicht schlecht. Ja in Berlin ist das richtig fett, drum überlege sich jeder ob er wirklich hier arbeiten will (kann).
Es ist ein sehr geschätztes Modell, mit Freien zu arbeiten. Das heißt von den 23 EUR brutto bezahlst du alles. NEVER FORGET THIS bevor you start with the MILCHMÄDCHENRECHNUNG MUTTI!
Manuela
8. März 2017 — 9:59
Humor ist eine scharfe Klinge :-*
Tolles Bild übrigens!
LG, Manuela
Notyetaguru
9. März 2017 — 9:38
Liebe Manuela, ja Humor hilft oft – das Bild hat mein Lieblingsfotograf gemacht. René Löffler, also wenn du mal Fotos brauchst: http://www.reneloeffler.com
Christine Finke
9. März 2017 — 9:09
Lustig, das ging mir sehr ähnlich – nur habe ich meinen Erstkontakt mit dem Frauentag “Unter den Linden” gehabt, vor der Humboldt-Uni. Das war 1994 und ich ein genauso ahnungsloser Wessi wie du. In Baden-Württemberg hatten wir davon noch nichts gehört. Das wiederum machte meine Kolleginnen an der Uni völlig fassungslos. Weltenclash.
Damals hatte ich noch keine Kinder und dachte, den Feminismus bräuchte man eigentlich nicht mehr, weil ja schon alles erreicht sei in Sachen Gleichberechtigung. Little did I know.
Liebe Grüße!
Christine
Notyetaguru
9. März 2017 — 9:42
Christine: dit freut mir aber! Ja Frauen dämmern irgendwie ziemlich glücklich und gleichberechtigt vor sich hin in Deutschland, aber wir wachen ja auf, wenn die Kinder brüllen. LG in den Süden!
Ulla
10. März 2017 — 15:53
Chapeau
Notyetaguru
11. März 2017 — 7:22
Merci!
Theo
4. Juni 2017 — 8:34
Weltfrauentag?
Kenne ich nicht. Oder aber ich lächle und verdränge den gleich wieder. Keine Ahnung. Ist auch nicht so wichtig- eine Frau habe ich nicht (mehr) und meine Tochter ist noch zu jung.
Ich halte auch nicht allzuviel von Gleichberechtigung. Klingt wie Mach, oder? STOP!
Ich bin alleinerziehender Vater eines behinderten Kindes. Die Mutter hatte keinen Bock- es war ihr alles zu anstrengend, ich habe ihr zu wenig Geld heim gebracht. Okay, ich bin Erzieher. Aber den Haushalt habe ich auch zu drei Viertel übernommen. Ebenso meine Tochter sobald ich zu Hause war.
Aber das nur am Rande. Ich sehe es an hunderten Kleinigkeiten, warum Gleichberechtigung für mich nix ist. In jeder Kita heißt es “Kannst du bitte mal…?” z. B. beim Tische schleppen, bei handwerklichen Dingen oder beim Marmeladenglas. Schamlos wird man als Mann benutzt. Schamlos? Nein! Denn Männer und Frauen sind NICHT gleich! Ich kann nie ein Kind austragen, egal wie gleichberechtigt wir sind.
Ich sehe diese Anfragen eher als Respekt. Ich respektiere, dass Frauen einiges besser können als Männer und umgekehrt. Statt uns zu bekämpfen sollten wir uns gegenseitig helfen und unterstützen.
Hat bei meiner Frau nicht geklappt- sie hatte eben einen miesen Charakter. Jetzt ist es deutlicher: sie ist mehrfach vorbestraft und arbeitet nur schwarz, um keinen Kindesunterhalt zahlen zu müssen.
Eine kleine Anekdote noch: In dem Grundschulalter fragte mich meine Tochter nach der Bedeutung eines Verkehrsschildes, und zwar das, wo eine Frau ein Kind festhält (Fußgängerweg).
Ich erklärte ihr, dass der Weg nur für Fußgänger sei und dass Kinder besser an der Hand gingen. Sie grübelte kurz und fragte dann: “Papa, wo bekommen wir denn jetzt eine Frau her?” 😉
Notyetaguru
4. Juni 2017 — 8:56
Ganz ehrlich Theo Deinen Kommentar hatte ich erstmal gelöscht, denn ich fand und finde ihn immer noch merkwürdig. Dann habe ich Kaffee getrunken und bin versöhnlicher, frage mich aber: Was willst Du damit sagen? Natürlich sind Männer und Frauen gleichberechtigt. Und das sollte sich auch in der Erziehung und Sorgearbeit, die man für ein gemeinsames Kind hat, niederschlagen. Es tut mir leid, dass Du offenbar mit der Partnerwahl Pech hattest. Da bist Du nicht allein. Dass Du sauer bist auf Deine Ex ist auch verständlich, auch damit bist Du nicht allein: Du hast Deine Tochter immer um Dich, denn Du kümmerst Dich offensichtlich sehr um Sie. Und das ist Chance und Problem zugleich: Ich glaube Du solltest Deinen Frieden machen mit der Frau mit der Du ein Kind hast. Das klingt wahrscheinlich jetzt für Dich ziemlich doof, aber ich lese zwischen den Zeilen dass Du sehr wütend bist. Du musst eines wissen: Deine Ex – diese Frau – ist immer die Mutter Deiner Tochter – auch eine Frau – Dein Kind spürt alles das was unterschwellig zwischen den Eltern steht. Auch den Zorn. Auch die Ablehnung. Kinder übertragen das sehr leicht auf sich. Und so lange Du mit dieser unterschwelligen Ablehnung von Frauen (ist nicht so böse gemeint wie es klingt) durch die Welt gehst, wirst Du auch keine neue finden. Alles Gute für Dich und Dein Kind