Neulich hab ich hier euphorisch über das emanzipatorische Potential der Vorpubertät geschrieben. Mein Kind entdeckt die Welt, und ich die begrenzten Möglichkeiten der elterlichen Einflussnahme und neue Freiheit. Noch bin ich mittendrin, statt nur dabei. Ich saß z.B. vor kurzem staunend bei einem Elternseminar über Sexualität in der Grundschule.

Immer wenn ich dachte, “oh mein Gott, was mache ich eigentlich hier”, hab ich an meine Schulzeit gedacht und an die Schulschwestern.

Diese Offenheit heutzutage ist doch großartig. “Sexualität muss man lernen, wie Radfahren”, sagte die Schulpsychologin. Ja stimmt:

Allerdings kann das echt nerven, denn irgendwie kommt das alles so überfallartig.

Alles viel schneller und so anders.

Meine Mutter würde jetzt zustimmend die Augen rollen. Ich glaube meine Eltern haben unsere erwachende Sexualität einfach ignoriert. Für Oma ist diese Phase schwierig, sie kommentiert das so: “Das Kind bringt ja viel neues mit” und reagiert auf nichts.

Zum Beispiel brandheiße Informationen zum Paarungsverhalten junger Großstädter. Und Wörter, die das plastisch beschreiben. Das Kind hat nämlich Freunde an der Schule, die älter sind als es oder mehr wissen, weil sie ältere Brüder haben. Die sitzen irgendwie ständig bei uns am Tisch, selbst wenn sie gar nicht mitgekommen sind nach der Schule.

Deshalb fallen bei uns zurzeit Sätze mit in US-Talk-Shows piepswürdigem Inhalt. Sie beginnen oft mit: “Der K. (Kumpel aus der Schule) hat gesagt oder der große Bruder vom X hat erzählt”.

In solchen Momenten möchte ich immer würdevoll zu meiner nicht vorhandenen Hausbar schreiten, und mich mit einem Mae West liken Griff nach einer Flasche Scotch für die weitere Diskussion rüsten. Ich versuche das alles mit Humor zu nehmen, ohne es lächerlich zu machen. Gelang mir in den letzten Wochen sehr gut.

Bis mein Kind zum ersten Mal eine Frau namens Katja Krasavice mit nach Hause brachte. Das ist keine Klassenkameradin, sondern der fleischgewordene Belastungstest der feministischen Mutter. Ich hatte noch nie etwas von dieser Frau gesehen – geschweige denn gehört. Letzteres ändert sich sehr plötzlich.

Ich nahm es mit Humor, und klebte Mae West Zitate als Motivation an den Kühlschrank – z.B.: „Zu viel von einer Sache kann wundervoll sein.“ Und einmal steckte ich den Kopf ins TK-Fach, ich hauchte meine Schnappatmung auf TK-Erbsen, weil ich brüllen wollte: diese Frau geht mir auf die Nerven, warum darf die solche Inhalte in den sozialen Netzwerken verbreiten. Das ist ein Kanal für Sonnenuntergänge und heile Welt, verdammt.

Und einmal hab ich mir einen sehr guten Rotwein, der eigentlich für Weihnachten gedacht war, auf mein erschüttertes Nervengerüst gegossen. Der Bruder von K. hatte Insiderinfos.

Es ging um Praktiken, über die ich zum letzten Mal als Teenager in der Kamasutra-Ausgabe meiner Eltern gelesen hatte (über Kopf).

In meinem Ohr hallen an dieser Stelle die Worte der Schulpsychologin: “sie werden in der nächsten Zeit immer wieder mit ihrer eigenen Einstellung zur Sexualität und Körperlichkeit als Jugendliche konfrontiert. Nutzen sie diese Chance zur Aufarbeitung”.

Das klingt ja gut in der Theorie, aber jetzt mal zu den praktischen Herausforderungen:

Katja K singt offenbar auch noch, und wenn dein Kind morgens fröhlich was von “dicke Lippen und sie blasen” trällert, statt sich die Zähne zu putzen, dann drehst du selbst als Yoga praktizierende Mutter langsam aber sicher durch.

Ich musste mich jedenfalls auf den Kühlschrank stützen und googelte Mae West, wegen einem ad-hoc motivierenden Zitat. Da war allerdings auch Mae West überfordert. Es half nur eines:

Digitale Konfrontationstheraphie. Ich musste Katja Krasavice googlen, ich wollte endlich wissen, wer diese Frau ist, wie gut dass wir beide auf Instagram sind. Einmal in die Suchfunktion eingetippt und:

WHAT!

Dann war es soweit: um 07:25 Uhr griff ich panisch zum Gurkenglas.

Saure Gurken haben auf mich eine ähnliche Wirkung, wie Schnaps, ohne die unangenehmen Nebenwirkungen. Sie fahren mein System auf Null und klären den Geist.

Und da stand ich, um Fassung ringend, eine ganz normale Mutter morgens halb acht in Deutschland. Ich starre auf eine Frau mit Silikonbrüsten, die sich halb nackt durchs Profil räkelt, auf einem Foto hat sie viel an, da küsst sie leider einen Schnee-Penis.

Die lebt anscheinend auch allein, stelle ich fest. Kinder hat sie offenbar noch keine. Aber sehr sehr große Brüste. Die kann doch niemals mit den Dingern stillen, denke ich. Einmal sitzt ein schüchterner Twen neben ihr auf dem Bett, der sieht aus, als hätte er sich das alles anders vorgestellt, und möchte nach Hause telefonieren oder wieder zu seiner Mutter ziehen.

Untertitel: Wir hatten Spaß.

Ich studiere die Kommentare. Sehr aufschlussreich: “wenn ihr mir 1000 likes gibt, lade ich ein Nacktbild hoch” schreibt eine Frau. Ah ja.

Hab ich nicht erst gestern gelesen, Instagram wäre so eine schöne heile Welt?

  • Wo ist die?
  • Kann man da noch einziehen?
  • Gibt es da Ganztagsschulen?
  • Was kostet das?

“Ich bin jetzt fertig Mama”, ruft das Kind. Ich auch, denke ich.

Um 08:05 Uhr stehen mein Kind und ich an der Haltestelle: “Du riechst voll nach Gurke Mama – also echt das ist ja pervers”, sagt es.

Dann summt es die Melodie von Katja Krasevic’ neuestem Hit.

Ich atme und zähle rückwärts von 50.

165:

Ob das jetzt ein guter Zeitpunkt ist, um “Insel einsam ohne WLAN in Canada gegen Kost und Logis” zu googeln?

“Du die Katja Krasavice hatte mal einen ganz normalen Vlog Mama weißt du, damit hat die halt nichts verdient. Das ist doch alles Scheiße bei YouTube. Ich studiere lieber doch, Mathematik oder so.”

Danke Universum, denke ich und schnuppere an meinen Gurkenfingern.

Wird schon alles gut irgendwie.

Müssen wir halt durch: die Katja, das Kind und ich und der K. und der Bruder von K und wer auch sonst noch. Gibt eh kein Entrinnen: dieser expliziten Darstellung von Sexualität in Wort und Bild kann man im digitalen Zeitalter nicht entkommen, darauf muss man Kinder vorbereiten.

Wer seinem Kind ein Smartphone schenkt, der nimmt in Kauf, dass es nur einen Klick von pornographischen Inhalten weg ist. Oder ein anderes Kind trägt eines mit sich rum. Tja.

Gibt garantiert immer Wege.

Und auch in der analogen Welt werden Kinder damit konfrontiert. Da reichen 18/1 – Plakate mit sexistischer Kackscheiße an der man morgens vorbei zur Schule fährt. Dass man dabei Beklemmung verspürt als Frau, finde ich normal, das hat nichts mit Prüderie zu tun.

Rein theoretisch weiß ich das alles und bin gut vorbereitet. Und ich suche mir Unterstützung:

Ein super tolles Buch ist z.B. “Klär mich auf!” und eine Freundin hat mir heute Abend die Website www.jungsfragen.de empfohlen.

Und ich hab Gurkenvorräte, darüber könnte man Lieder singen Katja: read my lips!

PPS: der neueste Hit von Katja “Dicke Lippen” ist übrigens pädagogisch wertvoll bzw. bahnbrechend in Sachen Wiedereinstieg. Im Ernst: ich hab mir das Video angesehen, und den Text gehört. Wenn ich nochmal in der Elternzeit meinen Job verlieren würde, wäre ich Mutti the Bitch. Ich meine, wie schnell man Kapital aus seinen überquellenden Brüsten und knappen Klamotten schlagen kann bei YouTube und Insta, das ist doch Wahnsinn. So viel kann man mit Telefonsex niemals verdienen. Eine Freundin hat mir entrüstet berichtet, dass man dafür auch nur noch 12 EUR brutto bekommt, wurde ihr sogar von einem Arbeitsvermittler vorgeschlagen “Call-Center”. Tja. Wenn ich nicht solche panische Angst vor Spritzen hätte, und noch Kontakt zu diesem Busenkünstler-Doc aus Heidelberg, müsste ich mir um meine Rente keine Sorgen mehr machen. Und nicht auszudenken, wenn ich verheiratet wäre: das Splitting! Oh mein Gott, man reiche mir die Gurken. Nur das mit den Dobermännern, das könnte ich nicht.

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