rein theoretisch ist alles gut

Mein #Muttertagswunsch: Ein Hauch Fußpilz und mehr Ehrlichkeit

Ich bin schon wieder total spät dran. Wie immer. Ich hab nur noch 24 Stunden: Morgen ist Muttertag. In Deutschlands Top Mama-Blogs, Top Eltern-Blogs, Top Alleinerziehenden-Blogs rollt seit Tagen die Themenwelle – nur hier plätschert nix. Still ruht der See äh Blog. Dabei gäbe es so viel: Hashtags und stories wohin das müde Mutterauge reicht. Jeden Tag setze ich mindestens zwei Aufreger-Lesezeichen in meinem Browser und kritzele Überschriften in mein Notizbuch.

Ach Muttertag du tolles olles Ding! Du besonderer Tag an dem uns und allen klar wird, wie viel wir leisten, und was uns alles fehlt seit wir Mütter sind: Zeit, Geld, Schlaf, Schmuck, Solidarität, Abos von Fleurop, Anerkennung  und wirksame Skin Repair Pflegesets.

Warum ich mir zum Muttertag Fußpilz wünsche:

Ich wünsche mir übrigens Fußpilz. Das ist mein Ernst und daran ist Facebook schuld. Seit Tagen spielen die Werbung einer Firma in meinen Newsfeed, die Probanden für verschiedene Studien sucht. Für Fußpilz bekommt man knapp 4.000 EUR – und muss nur einen Tag als Versuchskaninchen ins Krankenhaus. Das ist total gut vereinbar mit meiner Teilzeitstelle und Vollblut-Mutterschaft. Deswegen gehe ich morgen am Muttertag mit meinem Kind ins Schwimmbad.

Wenn es nach mir ginge würde ich den morgigen Muttertag einfach so verbringen, als wäre ich gar keine Mutter. Oder höchstens kurz. Letztes Jahr habe ich das jedenfalls so gemacht. War prima. Um 15:15 Uhr habe ich mir eine Weinschorle in meiner allerliebsten Milonga (Tango-Tanz-Veranstaltung) bestellt, dazu unvernünftig fetten Käsekuchen gegessen und nebenbei vergessen, dass ich Mutter bin –  für schlappe 5 Stunden. Das war wahnsinnig gut, für meine Mutter-Kind-Beziehung – und gesund. Doch: Statt etwas zu tun, worauf ich gar keine Lust hab – auch wenn mein Kind sich das wünscht und die Mehrheit das so macht.

Trotzdem ist mein Kind nicht zu kurz gekommen. Wir haben zusammen bei Oma gefrühstückt, ich hab ein sehr schönes Bild bewundert, an meinen Blumen geschnuppert, meine eigene Mutter artig beschenkt und bin dann verduftet.

Mütter brauchen Grenzen und zwar an 365 Tagen im Jahr:

Das ist leider total unüblich. In 9 von 10 Fällen steht die deutsche Mutter mit ihren Bedürfnissen und persönlichen Grenzen zurück – auch am jährlichen Ehrentag – aus Liebe. Meine Mutter hat das auch schon praktiziert, und die davor – also meine Oma – garantiert auch. Und wenn ich mir so ansehe was in Blogs oder Elternzeitschriften gerade geschrieben wird – oder wieder aus dem Archiv hervorgezaubert, stelle ich fest: Deutsche Mütter sind immer noch so. Sie sind wahlweise fröhliche Supermuttis oder tapfere Schmerzensmütter. Dazwischen ist irgendwie nix. Dabei ist das Dazwischen eigentlich normal und gerade das, was eigentlich so wichtig ist für uns Mütter und unsere Kinder.

Immerhin darf Frau inzwischen zugeben, dass alles ein bisschen viel ist, allerdings muss sie dann bitte der eigenen Gebärmutter die Schuld geben (Stichwort #regrettingmotherhood mein persönlicher Hasstag!)

Muttertag gestern heute morgen:

Apropos hashtag: Es gibt ja diese sehr tolle Initiative namens #Muttertagswunsch – viele tolle Frauen sagen da sehr kluge Dinge, die wir wirklich brauchen. Hat sich also doch einiges geändert seit der Muttertag 1922/23 vom Verband Deutscher Blumengeschäftsinhaber mit Sprüchen wie „Ehret die Mutter“ in den Schaufenstern eingeführt wurde und als unpolitischer Tag der Blumenwünsche gefeiert wurde? Hmm? Ich habe irgendwie bislang keine schmissige Formulierung gefunden, deswegen habe ich auch noch nix zum #Muttertagswunsch gepostet.

Ich mache mir trotzdem meine Gedanken zum Muttertag – nicht nur seit diesem hashtag oder seit ich Mutter bin. Eigentlich schon immer, zumindest seit ich selber eine habe. Denn Muttertag war nie einfach. Zum Beispiel war und bin ich ich mir nie sicher, über was sich meine Mutter wirklich freuen würde. Fing mit Gänseblümchen in den 70er Jahren an und hört mit Dr. Hauschka uff. Bis heute verstehe ich nicht, was meine Mutter braucht. Dabei war meine Mutter immer da, und hat so viel für mich getan und sie tut es immer noch. Sie liebt mich und ich sie. Dass Nähe zwischen Mutter und Kind nicht zwangsläufig enge Bindung bedeutet, oder Verständnis für einander, fällt mir immer besonders am Muttertag auf.

Was Mütter ihren Kindern schenken sollten:

Was wäre wenn wir nicht Mutter und Tochter wären? Also rein theoretisch: Würden wir uns besser verstehen, wenn wir zwei Frauen wären, die sich zufällig kennen und schätzen? Kommen Respekt und Wertschätzung für die eigene Mutter oder das Kind mit auf die Welt? Hängt man daran wie an der Nabelschnur, einige für immer, und bei anderen trennen sie das aus Versehen erstmal wieder durch oder später irgendwann? Und dann suchen sich beide immerzu?

Wieso muss ich eigentlich immer so ungefällige Sätze schreiben, sogar einen Tag vorm heiligen Muttertag. Kann ich nicht einfach eine gute Tochter sein? Ich sollte einfach meine Klappe halten und Blumen besorgen. Ist schon 18:54 Uhr! Oder endlich mal ein Gewinnspiel machen – wie alle anderen Blogs. Mehr Harmonie weniger Streit!

Neulich hat sich wieder eine Frau über mich aufgeregt, weil ich einen Beitrag von der Facebookseite der Brigitte Mom geteilt habe – und ich darüber dummerweise folgenden Satz schrieb:

Ich bin immer wieder erstaunt wie blauäugig und naiv Frauen in Bezug auf Teilzeitarbeit und Ausgleich Care-Arbeit sind. Was es in Zahlen bedeutet, wenn man sich auf das Ernährer-Modell einlässt, und Teilzeit arbeitet, macht sich irgendwie niemand klar? Wenn ich Kommentare lese wie “Ich habe das mit meinem Mann auch nicht diskutiert! Wir sind verheiratet, vertrauen einander und im Falle einer Trennung, kann ich ja wieder arbeiten gehen” sehe ich vor meinem inneren Auge immer Sonja Ziemann durch eine Wirtschaftswunder-Komödie tanzen! FRAUEN wacht endlich uff – der Wiedereinstieg ist nicht einfach:

Das hat mir die Frau total übelgenommen, weil sie fand, ich schiebe den Müttern die Verantwortung dafür zu, dass sie zuhause bleiben, von ihren Männern abhängig sind oder wenig verdienen. Die Mütter können ja nichts dafür.

Nun ja also für den Muttertag können die Mütter definitiv nix. Das waren diese Blumenfritzen. Ansonsten finde ich können Frauen mit Kindern schon etwas dafür tun, dass es für sie besser läuft. Wir haben nicht nur für die Grenzen der Kinder die Verantwortung, sondern vor allem auch für unsere eigenen.

Ich mache mich jetzt wahrscheinlich zur Muttertags-Buhfrau, aber eine muss es ja machen, weil sonst ändert sich nämlich nie was – weder dieses Jahr, noch im nächsten – noch am ersten Muttertag der Frau, die mir mal vielleicht mindestens eine Enkelin oder einen Enkel schenkt.

Auch nicht für meinen Sohn, der hoffentlich mal mehr ist, als ein 15 Minuten Papa, der sich per Skype aus dem Büro an den Wickeltisch zuschaltet, wenn das Baby Durchfall hat. Es gibt tatsächlich ein Buch das so heißt – der 15 Minuten Vater – die spinnen doch? Falls mein Nachwuchs irgendwann mal Kinder hat, vielleicht hat er auch nur Dackel, oder Möpse? Oder ein Mann schenkt mir Enkel? Und hat der dann auch Muttertag? Kann passieren – die bauen schon irgendwo heimlich an der künstlichen Gebärmutter. Ich schweife wieder ab. Muttertag – es geht hier um den MUTTERTAG!

Geschichten und Kinder entwickeln sich oft anders als erwartet. Sie sind ziemlich eigen. Und nicht immer gefällig oder harmonisch. Ist so. IST NORMAL. Wir alle sind unperfekte Perfektion, die sich durch einen – warum auch immer – für sie bestimmten Geburtskanal in diese Welt kämpft. Und dann geht es los, mit ganz viel Liebe und ganz viel Erwartungen auf beiden Seiten. Und genau das ist das Problem:

Sätze, die jede Tochter mal gehört haben sollte:

Hat irgendeine unserer Mütter, damals als wir mit Puppen im Garten gespielt haben, jemals einen der folgenden Sätze gesagt:

  • Schatz das Baby brüllt eigentlich auch ziemlich viel – und wenn es dann so ungefähr zwei Jahre alt ist, benimmt es sich manchmal nun ja äh wie der D. aus dem Kindergarten, der dir mal die Schippe über den Kopp gezogen hat – das gehört aber zur Entwicklung dazu, das Gehirn braucht das.
  • Ich möchte jetzt nicht mit Dir spielen, sondern eine Pause machen.
  • Ich brauche was Schönes nur für mich, weil sonst denkt die Mama irgendwann “Ich bin nur noch die Putzfrau, der Blitzableiter und immer an allem schuld?” und brüllt rum – und das ist doof.
  • Die Mama von der Charlotte putzt zu viel.
  • Schatz, wütend sein ist ok, weinen sowieso – gehört dazu – du musst nicht immer fröhlich sein.
  • Barbie und Ken streiten auch mal.
  • Barbie ist keine normale Frau!

Nein das hat wahrscheinlich keine von uns gehört? Dabei ist das ja alles ziemlich wahr und so normal. Ich wage mal zu behaupten auch am morgigen Muttertag sind die meisten Mutter-Kind-Beziehungen nicht durchgängig rosarot und romantisch. Bei mir ist das jedenfalls schon vorgekommen. Und bei anderen – oha – liegt auch einiges im Argen. Nicht nur an diesem besonderen Tag im Mai. Gestern habe ich einen Beitrag auf einem sehr bekannten Elternblog gelesen. Danach war mir schlecht. Und mir war gar nicht mehr nach Muttertag. Rein theoretisch hätte ich auch wütend sein können. War ich aber nicht. Mir war nur schlecht: Geht aufwärts mit mir als Mutter und Mensch. Es war ein offener Brief einer Mutter an ihren Sohn. Es ging um Wut. Ihre Wut darüber, dass ihr Kind sie mit seinem Verhalten zu einer Mutter macht, die sie nie sein wollte. So viel Ehrlichkeit im Titel fand ich erstmal vielversprechend. Schonungslose Bestandsaufnahme ist der erste Schritt zur besseren Mutter-Kind-Beziehung.

Warum wütende Kinder das Beste sind was Müttern passieren kann:

Dann gehts für die Mütter allerdings ans Eingemachte und dazu gehört auch Selbstkritik – in einem gesunden Maß – das fehlt Müttern leider ziemlich oft. Ich kenne das. Irgendwie ist zu wenig davon da oder zu viel. Das mit dem zu viel oder zu wenig hatten wir ja schon mal in diesem Artikel. Huch!

Kann es sein, dass es ziemlich normal ist, das gar nix normal ist als Mutter in Deutschland? Und man irgendwie mehr falsch machen kann als richtig? Am Muttertag und immer? Ehrlich gesagt geht mir dieser Zustand auf den Keks. Ganzjährig und schon ziemlich lang.

Und diese Mutter in dem Beitrag geht mir auch auf den Keks – nix für ungut. Wieso ist dieses Kind der Buhmann? Ich bin doch wütend. Muss gleich 15 mal die nach unten schnaubende Mutter machen. Und dann schreibe ich einen Brief an diese Mutter – mein Geschenk zum Muttertag – nix für ungut. Wobei: Kann ich eigentlich gleich und hier!

Ich muss auch gar nicht viel schreiben, außer dass die Wut Deines Kindes wahrscheinlich Deine eigene ist. Woher die kommt kann ich Dir nicht sagen, aber nach der 6. Lektüre Deines Briefs habe ich so meine Vermutungen. Dein Kind ist nicht verantwortlich für ein harmonisches Familienleben, sondern Du selbst. Und wieso ist Dir das so wichtig, dass alles immer harmonisch ist? Kinder sind nicht die Täter, sie sind eigentlich die Opfer und immer so wie ihre Eltern. Sie spüren jeden Konflikt, jeden Ärger, auch die Überforderung und den Frust der Erwachsenen sehr genau. Gerade die schwierigen Kinder sind die mit den ganz besonders feinen Antennen.

Als Mutter kannst Du Dich freuen, weil Dein Sohn Dir sehr genau zeigt, was gerade nicht funktioniert und besser laufen könnte in Deinem Leben. Er schaut genauer hin als Du. Das ist ein ziemlich großes Geschenk.

Ich kenne das mit der Wut. Als Kind und als Mutter. Wertschätzung zu empfinden für das eigene Kind, wenn es gar nicht niedlich ist nicht gerade leicht. Aber das gehört eben auch dazu. Kinder kommen als Gesamtpaket zu uns ohne Umtauschrecht. Dies sind so wie sie sind. Ein Kind das fühlt und brüllt: “Immer bin ich alles schuld in dieser Familie” hat in der Tat jedes Recht wütend zu sein.

Ein kluger Familientherapeut hat mir mal gesagt: Je gelassener die Mutter, desto kleiner die Wut des Kindes. Konnte ich damals erstmal nicht verstehen. Erstmal. Ich hoffe Du schreibst inzwischen keine Briefe mehr, sondern hast Dir Hilfe gesucht.

Alles Gute zum Muttertag für Dich, mich und alle.

MÜTTER MACHT WAS IHR WOLLT! Und freut euch über Eure Kinder vor allem wenn sie wütend sind.

Und wer heute Zeit hat, der kann hier bleiben und lesen:

Working Moms nerven? Warum Deutschland ein Problem hat und ich keinen Bock mehr!

Schlafes Schwester: Was Mütter und Flugpersonal gemeinsam haben

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